■ Für Mehrheiten jenseits von CDU und PDS plädieren eine Reihe prominenter Politiker der Bündnisgrünen. Die PDS ist ihrer Einschätzung nach unberechenbar und weder koalitions- noch regierungsfähig. Wir dokumentieren den Text in Auszügen: Ref
Ein merkwürdiges Phänomen bestimmt seit längerem die PDS- Debatte der Bündnisgrünen: Während flammende Reden gegen CDU, FDP oder SPD immer ihren Beifall finden, geraten öffentliche Angriffe auf die PDS schnell ins Kreuzfeuer der Kritik. Das wurzelt zum einen in der Angst vor Solidaritätsreflexen der gekränkten Ostdeutschen, die angeblich jede Kritik an der PDS als Angriff auf sich selbst und ihre Ostidentität verstehen. Zum anderen wird die PDS als Teil der bundesdeutschen Linken gesehen, was zwar angesichts der westdeutschen Vergangenheit nicht unbedingt Grund zur Schonung sein muß, aber jeden Kritiker sofort in die Nähe der CDU-Leimruten rückt. Kurz: Wer die PDS angreift, gilt als vergangenheitsfixiert, hat den Osten verraten und ist Antikommunist (was bezeichnenderweise immer noch als Schimpfwort gilt). Übrig bleibt ein linker Opportunismus, genährt aus dem alten Traum von der „Einheit der Linken“, unaufgearbeiteter Verbundenheit mit dem Realsozialismus und fragwürdiger Rücksichtnahme auf ostdeutsche Gefühle.
Raus aus dem Lagerdenken
Es spricht einiges dafür, daß die heftige Beschäftigung mit der PDS auch etwas mit dem Phantomschmerz zu tun hat, den die bundesdeutsche Linke nach der Amputation ihrer Sozialismus- Träume empfindet. Klärungsprozesse haben nicht stattgefunden.
Auch die „Erfurter Erklärung“ folgt dem Lagerdenken, indem sie eine politische Gemeinsamkeit von SPD, Bündnisgrünen und PDS unterstellt. Das Papier enthält eine Mischung von Problembeschreibungen, Fundamentalkritik sowie weniger und nur zum Teil diskussionswürdiger Vorschläge. Nicht ganz unähnlich dem Aufruf des Gerechtigkeitskomitees atmet das Papier von A bis Z (Altvater bis Zwerenz) den Geist der Zusammenführung der „bisher getrennten Oppositionskräfte“, also des breiten linken Bündnisses. Für uns ist die PDS eine reaktionäre Partei. Deshalb geht es uns 1998 nicht nur um Mehrheiten jenseits der CDU, sondern um Mehrheiten jenseits von CDU und PDS. Wo es solche Reformmehrheit nicht gibt, gehören wir in die Opposition.
Die PDS heute
Wir messen politische Parteien zum einen daran, ob sie realistische Reformoptionen anstelle von leeren Versprechungen oder rhetorischer Kapitalismuskritik haben – und zum anderen an ihrem Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit und zur Demokratie der Bundesrepublik, die wir als die wichtigste Voraussetzung für Reformpolitik ansehen. Beiden Ansprüchen wird die PDS unseres Erachtens nicht gerecht. Die politische Frage, welche Haltung wir zu einer Machtbeteiligung der PDS haben, hat für uns deshalb Vorrang vor wahlarithmetischen Überlegungen.
Auch bei Würdigung der Auseinandersetzungen innerhalb der PDS halten wir es für ein gefährliches Wunschdenken, das Phantom einer erneuerten PDS, die den Ungeist der DDR hinter sich gelassen hat, für Realität zu halten und zum Ausgangspunkt von Strategien zu machen. Deshalb ist es an der Zeit, scharfen Protest gegen einige Ungeduldige anzumelden, die neue Regierungskoalitionen unter Einbeziehung der PDS erörtern.
Nach wie vor besteht Aufklärungsbedarf über die PDS, und zwar in Ost und West. Sieben Jahre nach der Umbenennung der SED in PDS läßt sich feststellen:
–Die PDS ist eine undefinierbare Partei. Ihre Flügel und Gruppen liegen so weit auseinander, daß eine Klärung ihres politischen Zusammenhalts überfällig ist. Dies wird jedoch vermieden, um eine Spaltung zu vermeiden.
–Die PDS ist eine Partei im Wandel. Sie hat in kurzer Zeit zwei Parteiprogramme verabschiedet. Allerdings ist das zweite Programm nicht ein weiterer Schritt weg von der SED, sondern eher ein kleiner Schritt zurück.
–Die PDS ist eine Partei der Besserverdienenden. Ihre Mitglieder gehören weniger zu den sozial Benachteiligten und Einheitsverlierern, sondern sind überwiegend Angestellte (42 Prozent) und Akademiker (31), also große Teile der DDR-Elite, die keineswegs unter wirtschaftlichem Abstieg leiden.
Eine Altpartei
Die PDS-Mitglieder haben sich im Dezember 1989 bewußt für die Nachfolge der SED und nicht für einen Neuanfang entschieden. Hauptgründe mögen der Mitgliederbestand und vor allem das Vermögen gewesen sein. Zu diesem Erbe gehören jedoch auch die Tradition, die Verantwortung und die Loyalitäten der SED. Auch ein modernes Outfit und Geschichtslügen („geboren im Wendeherbst, aufgewachsen an den Runden Tischen“) können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Fundamente und tragenden Wände der PDS die der SED sind. Die SED-Nachfolge besteht also nicht nur personell und finanziell, sondern auch politisch und ideologisch.
Es ist deshalb nicht erstaunlich, sondern liegt in der Natur der Sache, daß die PDS weder inhaltlich noch strukturell mit ihrer SED- Identität radikal gebrochen hat. In ihren Reihen und Funktionen findet sich nach wie vor eine ansehnliche Zahl ehemaliger SED-Funktionäre, Stasi-Offiziere und IM. Und die Lobby derer, die die Rehabilitierung und Restauration von DDR-Politik betreiben, ist nach den Wahlerfolgen der letzten Jahre wieder deutlicher zu hören als zu Beginn der 90er Jahre. Zwar werden die Vergangenheitsfixierung der Partei und damit ihre Demokratiedefizite immer mal wieder heftig von einzelnen kritisiert (Brie, Müller, Gysi), doch bleibt die Partei eine deutliche Stellungnahme aus verständlichen Gründen schuldig: Würden doch damit viele Mitglieder und Stammwähler abgeschreckt. Und in dieser Rücksichtnahme, die ein Demokratierisiko ist, liegt auf absehbare Zeit das Hauptproblem der PDS. Ihr Reformanspruch ist vor diesem Hintergrund wenig überzeugend.
Das Demokratiedefizit
Der Versuch, den Unterschied zwischen SED-Regime und der Ordnung des Grundgesetzes zu verwischen (indem zum Beispiel die Stasi mit dem Verfassungsschutz, die Verfolgung Andersdenkender in der DDR mit dem KPD-Verbot gleichgesetzt wird), ist ebenso wie die Verharmlosung von SED und Staatssicherheit fester und notwendiger Bestandteil der Politik der PDS. Daß dies auch von den PDS-Mitgliedern und Sympathisanten mitgetragen wird, die einst zu den Kritikern der SED gehörten, läßt fragen, was sie sonst noch zu akzeptieren bereit sind, wenn der Zusammenhalt ihrer Partei dies erfordert.
Die PDS bezeichnet sich als eine demokratische Partei, die eine andere und bessere Demokratie will. Ihre rückwärtsgewandten und restaurativen Kräfte, auf die jeder Funktionsträger bei Strafe seines politischen Untergangs Rücksicht zu nehmen hat, sind jedoch ein unkalkulierbares demokratisches Risiko. Zudem ist die PDS nicht eine kleine Splittergruppe, sondern die mitglieder- und finanzstärkste Partei Ostdeutschlands, eine ehemalige Regierungspartei, die erheblichen Einfluß in Behörden, Universitäten und Schulen hat und in einzelnen Regionen die absolute Mehrheit besitzt.
Noch ist die Frage der Regierungsbeteiligung innerhalb der PDS heftig umstritten, doch ist zu erwarten, daß sich der Wille zur Macht durchsetzen wird: Die begabten und ehrgeizigen Newcomer in den Ländern können dabei auf die Unterstützung jener rechnen, die als ehemalige Funktionäre und Nutznießer der Macht dem Bedeutungsverlust von 1989 nachtrauern.
Ost-Interessenvertretung
Die PDS hat erfolgreich das Image des Anwalts der Ostdeutschen aufgebaut. Es lohnt sich, genauer nachzufragen, worin eine solche Interessenvertretung wirklich besteht. Soweit es um die Benachteiligung der ostdeutschen Bevölkerung durch den Einigungsprozeß geht, sind die politischen Initiativen im Bundestag zum Eigentumsrecht, zur Treuhandpolitik, zur Ost-Rentenpolitik, zum Mieten- und Tarifrecht überwiegend von Bündnis 90/Die Grünen ausgegangen, obwohl wir mit Abstand über die bescheidensten Ressourcen verfügen.
Die reale Interessenvertretung der Ostdeutschen scheint jedoch nicht entscheidend für das Ostinteressen-Image der PDS zu sein. Vielmehr spielt eine Rolle, was die Wahlergebnisse der PDS im Westen bewirkt haben. Kein anderes ostdeutsches Thema hat den Westen bis hin zu den Titelseiten der großen Wochenmagazine so beschäftigt. Und hier liegt der Kern der Wahlerfolge der PDS: Mit den Stimmen für die PDS soll der Westen gezwungen werden, den Osten zur Kenntnis zu nehmen („Berlin wählt, Bonn sieht rot“). Solange in der Gesellschaft und in den Parteien die Erfahrungen, das Denken und das Fühlen des Westens dominieren, will die PDS im Osten die Stimmen all derer gewinnen, die die Hegemonie des Westens nicht ertragen wollen. Die Parteien der Bundesrepublik einschließlich der Bündnisgrünen sind noch weit davon entfernt, diese Mahnung anzunehmen.
Die PDS-Option: das sichere Aus für Rot-Grün
Was an den Bündnisplänen unter Einbeziehung der PDS bemerkenswert ist, ist nicht nur die blauäugige Einschätzung von Politik und Wesen der PDS, sondern auch das falsche Kalkül, mit dem alte Wahlergebnisse zu neuen politischen Konstellationen hochgerechnet werden. Sollten sich die Bündnisgrünen auf eine Strategie verständigen, die PDS und die mit ihr verbundenen Kräfte in der einen oder anderen Form und in dem einen oder anderen Land wieder an die Regierungsmacht zu bringen, so sind sie für viele in Ost und West nicht mehr wählbar.
Auch würde das wichtigste Ziel im Osten, wieder in die Landtage einzuziehen, mit dieser Strategie in unerreichbare Ferne rücken: zum einen, weil es die ostdeutschen Landesverbände einer Zerreißprobe aussetzt, mit der wir Gefahr laufen, viele Mitglieder zu verlieren und in Existenznot zu geraten. Und was gibt es an Zustimmung – und zusätzlichen Stimmen – zu gewinnen? Wer strikt gegen eine Machtbeteiligung der PDS ist, wählt die CDU oder bleibt am Wahltag zu Hause, wer die Machtbeteiligung der PDS erzwingen will, wählt gleich das Original.
Wählerinnen und Wähler haben einen Anspruch darauf, zu wissen, wen und was sie wählen. Eine Einbeziehung der PDS wird die Aussicht auf einen Regierungswechsel nicht erhöhen, sondern im Gegenteil Rot-Grün bestenfalls eine Außenseiterchance lassen.
Soweit es die Bundesebene betrifft, dürfte dies Konsens sein. Dort ist die wahlarithmetische Spekulation ohnehin abenteuerlich. Alle politischen Parteien, einschließlich der PDS selbst, sind sich einig, daß eine PDS-tolerierte Bundesregierung undenkbar ist. In allen westdeutschen Ländern ist die PDS als politische Kraft gescheitert. Die Frage ist, wie glaubwürdig ein Nein zur PDS auf der Bundesebene ist, wenn in den Ländern eine Koalition mit der PDS nicht definitiv ausgeschlossen wird.
Die PDS in Landesregierungen?
Ein verbreiteter Irrtum ist, die PDS könne durch Regierungsbeteiligung „entzaubert“ werden.
Doch Koalitionen sind keine erzieherischen oder sozialtherapeutischen Veranstaltungen. Und es offenbart schon ein sonderbares Politikverständnis, einer Partei Regierungsverantwortung zu übertragen, um sie zur Ausdifferenzierung zu zwingen und zu einer demokratischen Partei zu erziehen. Absurd ist auch die Idee, die PDS „kleinzukriegen“, indem man sie einbindet.
Seit der Regierungsbildung in Sachsen-Anhalt erscheint vielen das Modell Rot-Grün mit Tolerierung durch die PDS als der Ausweg aus dem Dilemma. Aber Magdeburg ist eine Ausnahme, kein Modell. Weder SPD noch Bündnisgrüne in Sachsen-Anhalt haben einen Übertragungsanspruch geltend gemacht.
Zu bedenken ist auch, daß es kaum eine komfortablere Situation für die PDS gibt. Nicht ohne Grund wird die Tolerierung von Bisky und vielen anderen PDS- Funktionären als Modell favorisiert. Einerseits Macht auszuüben und andererseits nicht für unpopuläre Regierungsentscheidungen haftbar gemacht zu werden: So läßt sich die „bunte Truppe“ natürlich am besten zusammenhalten.
Die Auffassung des bündnisgrünen Bundesvorstandes: „Auf der Bundesebene auf keinen Fall, in die Entscheidungen der Landesverbände mischen wir uns nicht ein“, überzeugt nicht. Ohne Zweifel gilt, daß die Entscheidung über Regierungsbündnisse in den Ländern auch auf Länderebene getroffen wird. Doch darf uns das nicht hindern, auf die Wirkung solcher Entscheidungen hinzuweisen. Gewisse Unterschiede innerhalb der PDS von Land zu Land dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß für die Landesgliederungen der PDS der Kern unserer Kritik ebenso gilt wie für die Gesamtpartei: Die PDS ist unberechenbar und weder koalitions- noch regierungsfähig. Damit haben die Entscheidungen der einzelnen bündnisgrünen Landesverbände große Rückwirkungen auf die Bundesrepublik und andere Bundesländer.
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