Für Kampf gegen Blutkrebs: Exotische Stammzellen gesucht
Leukämiekranke rettet oft nur eine Knochenmarkspende. Doch für Menschen mit Migrationshintergrund ist es häufig schwierig, einen geeigneten Spender zu finden.
Seit einiger Zeit machten sich die Eltern des kleinen Jungen Kayra große Sorgen um ihren Sohn. Er war ständig müde und abgeschlagen, sah blass aus und bekam nur schlecht Luft. Sie brachten ihn schließlich in ein Krankenhaus. Dort stellte man die Diagnose: Leukämie - weißer Blutzellkrebs. Dies war für die Eltern ein großer Schock.
Zunächst gelang es jedoch, die Erkrankung durch eine Chemotherapie in den Griff zu bekommen. Im Laufe des Jahres 2010 brach die Krankheit jedoch erneut wieder aus.
Kayras Eltern waren verzweifelt. Sie wussten: Nur eine Stammzellentransplantation konnte ihren Sohn jetzt noch retten. Leukämie ist eine sehr gefährliche Krebserkrankung, bei der sich erkrankte weiße Blutzellen im Knochenmark unkontrolliert vermehren und die gesunden zerstören.
In Deutschland gibt es mehrere Organisationen, die Typisierungen für Knochenmarkspenden vornehmen und ein Register führen. Die Daten der potenziellen Spender werden in der Regel auch an das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland (ZKRD) weitergeleitet - in anonymisierter Form. Das ZKRD ist in Deutschland die zentrale Vermittlerstelle. Dort sind mehr als 4 Millionen Datensätze vorhanden. Jährlich gehen beim ZKRD etwa 20.000 Suchanfragen aus dem In- und Ausland ein. Die größte Spenderdatenbank mit rund 2,4 Millionen Einträgen hat die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS), bei der Stefan-Mosch-Stiftung sind es etwa 400.000 Einträge. Weltweit gibt es 15 Millionen Spender. (wlf)
Bei der Stammzellentransplantation zerstört zunächst eine sehr aggressive Chemotherapie alle Knochenmarkzellen und vernichtet dabei auch die Leukämiezellen komplett. Anschließend werden dem Kranken gesunde Stammzellen eines Spenders übertragen. Diese stellen die Blutbildung wieder her.
Damit dies gelingt, muss man jedoch eine Schwierigkeit überwinden: Die Gewebemerkmale des Spenders müssen mit denen des Empfängers annähernd übereinstimmen. Da die Gewebemerkmale durch ihre Vielfalt millionenfache Kombinationen ermöglichen, gestaltet sich die Suche nach dem passenden Spender häufig als schwierig.
Bei Kayra schien dieses Problem kaum lösbar zu sein. Denn Kayra ist türkischer Abstammung. "Menschen türkischer Herkunft haben zumeist andere Kombinationen von Gewebemerkmalen als deutsche", erklärte Yasemin Aydin von der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS).
Die gemeinnützige Gesellschaft hat mit mehr als 2,4 Millionen registrierten Spendern die weltweit größte Stammzellspenderdatei. In den letzten 19 Jahren hat sie fast 25.000 Stammzelltransplantationen ermöglicht. Potenziellen Spendern werden fünf Millimeter Blut für die Typisierung entnommen.
"Wir testen sehr genau - es werden zehn Gewebemerkmale bestimmt", sagt Aydin. Infrage kommen Menschen zwischen 18 und 55 Jahren, die nicht unter bestimmten Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes, Rheuma, Herzkrankheiten oder Aids leiden. Jeder Spender erhält eine Nummer, die zusammen mit seinem Typisierungsmuster auch beim Zentralen Knochenmarkspenderegister (ZKRD) hinterlegt wird.
Wo immer es möglich ist, kooperiert das ZKRD wiederum mit anderen Ländern, die ein zentrales "Register" haben. Häufig geschieht dies über das internationale Netzwerk Emdis (European Marrow Donor Information System), an das viele internationale Register angeschlossen sind.
Dass es hier viele Stolperschwellen zu überwinden gibt, ist Aydin nur allzu gut bekannt. Die Hürden reichen von Sprachproblemen über die Erreichbarkeit bis hin zu so seltenen Kontakten, dass eine Vertrautheit mit der Organisation und den dort zuständigen Personen nie erreicht werden kann.
"In der Türkei gibt es kein so genaues Einwohnermeldeamt wie in Deutschland", sagte Aydin. "Viele, die an einen anderen Ort ziehen, melden sich nicht um und sind dann nicht mehr zu finden." Seit Jahren engagiert sich Aydin daher für das Minoritätenprojekt, das gezielt in Deutschland lebenden Menschen türkischer Abstammung helfen will. Derzeit leben in Deutschland etwa 3 Millionen Menschen mit einem Migrationshintergrund in der Türkei, das sind etwa 3,7 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Im Internet kann man alle wichtigen Seiten der DKMS auch in türkischer Sprache lesen. "Wir haben zahlreiche türkische Mitarbeiter", erzählt Aydin. "Das ist von hoher Bedeutung. So ist es viel einfacher, den türkischsprechenden Menschen klarzumachen, wie wichtig ihre Knochenmarkspende ist."
Auch in zahlreichen Kliniken liegen Informationsbroschüren in türkischer Sprache aus. Es wurden und werden zahlreiche bundesweite Aktionen veranstaltet. Zumeist helfen Ärzte, Sanitäter, Schwestern oder Pfleger sowie Mitarbeiter aus dem Bekanntenkreis eines Betroffenen ehrenamtlich mit.
"In großen Räumen, beispielsweise in Turnhallen oder Bürgerhäusern, nehmen wir einen ganzen Tag lang möglichen Spendern Blut ab", so Aydin.
Um Menschen türkischer Herkunft besser zu erreichen, arbeitet das DKMS auch mit dem Ditib (Dachverband türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion) zusammen.
"Wir gehen in die Moscheen", sagt Aydin hierzu. Dort gibt es Informationsabende mit Typisierungsaktionen im Anschluss. Es wird Türkisch gesprochen. Dies hilft mit, um Hemmschwellen zu überwinden.
"Viele Menschen haben Angst, und unsere Gespräche mit ihnen nehmen ihnen ihre Furcht", erläutert Yasemin Aydin. Sie ist stolz auf den Erfolg: "Inzwischen haben wir einen Pool von über 61.500 Spendern. Das ist mehr als in der Türkei."
Auch die Aktionen der DKMS für Kayra waren erfolgreich. Es gelang, einen geeigneten Spender zu finden. Die Knochenmarkübertragung konnte durchgeführt werden. Alle sind guter Hoffnung, dass Kayra wieder gesund wird. "Ihm geht es von Tag zu Tag besser", sagte der Vater zuversichtlich.
Das Minoritätenprojekt könnte Vorbild für andere Initiativen in Deutschland sein. Schließlich leben im Zeitalter der Globalisierung in Deutschland zahlreiche Menschen gemischter Herkunft, für die es im Ernstfall äußerst schwierig ist, einen geeigneten Knochenmarkspender zu finden.
Das Ganze erinnert an die bekannte Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wie eine amerikanische Studie ergab, lag beispielsweise die Wahrscheinlichkeit, dass ein Afroamerikaner in einer Datenbank aus 500.000 Menschen einen geeigneten Spender kaukasischer Herkunft fand, lediglich bei 18 Prozent.
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