Fünftes Bier, zweiter Joint

In allen Kellern knistert es: Mittlerweile macht es einen Riesenspaß, Berliner Bands zu hören. Besonders in der Galerie Berlintokyo und auf ihren „Spielkreis“-Samplern  ■ Von Gerrit Bartels

Mit der Galerie Berlintokyo in der Rosenthaler Straße verhält es sich wie mit Asterix, seinen Kumpanen und dem Dorf, das als einziges noch nicht von römischen Truppen besetzt ist. Gelegen in einer Umgebung, die von Tag zu Tag sanierter und schicker wird, hält sie hier mit ihrem Lagerraum-Charme die Fahne der Subkultur hoch. Wie immens nun ihre künstlerischen Signale in die Kultur strahlen, darüber darf man sich gern streiten, eines aber ist sicher: Mit den beiden von ihr zusammengestellten und herausgebrachten „Spielkreis“- Samplern ist die Galerie Berlintokyo nicht unschuldig an sympathischen Veränderungen im Berliner Musikleben.

Seit einiger Zeit „geht da wieder was“, um es mit Johannes B. Kerner zu sagen. Daß Berliner Musik grundsätzlich langweilig sei (entweder Kreuzberger Cross-over oder peinlicher Retortenpop), stimmt jedenfalls nicht mehr. Auch die neidischen Blicke nach Hamburg, Waltrop oder Weilheim gehören der Vergangenheit an. Es knistert, prickelt und rumort in vielen Kellern, Garagen und Wohnzimmern. Und es macht enormen Spaß, Berliner Bands gucken zu gehen. Auch und insbesondere in der Galerie Berlintokyo.

Schon als die Galerie vor zwei Jahren ihre Pforten öffnete, ging es ihren zwischen 22 und 24 Jahre alten Betreibern nicht nur darum, eine Stätte zu haben, wo man Kunst zeigen, repräsentieren und verkaufen kann. Vielmehr „wollten wir die Besucher nicht mit Kunst belästigen, wir zeigten Kunst für ein Ausgehpublikum“, wie der 23jährige Mitbegründer, der Jurastudent Jakob Karsten, das heute ausdrückt. Jede Ausstellung wurde von Bands und/oder DJs eröffnet und auch begleitet. Nicht selten waren und sind es die Künstler selbst, die zu den Instrumenten greifen, live auftreten oder die Plattenteller bedienen.

Um die Erinnerung an solche Auftritte „konkreter“ werden zu lassen, entschloß man sich vor einem Jahr, einen Sampler zu produzieren, auf dem alle bis dato in der Galerie aufgetretenen Bands vertreten sein sollten. „Spielkreis 01“ erschien, ein mächtiges, nahe 100 Minuten dauerndes Vinyldoppelalbum. Von Jeans Team bis Doc Schoko, von Minitchev bis Derrick, von Pop Tarts bis Kunz: die gesammelte Berliner Class of 97/98 war auf „Spielkreis 01“ vertreten. Das Album sollte zwar dokumentarischen Charakter haben, ein jeder sollte sich wenigstens einmal im Zusammenhang mit den schönen Galeriezusammenkünften auf einem Tonträger wiederfinden.

Doch die hier versammelten Bands und Musiker eint fast durchweg ein freier Umgang mit dem, was die Popgeschichte an Stilen, Wissen, Mythen und Strategien aufgetürmt hat. Gespielt wird, was Spaß macht. Ob Rock nun tot ist oder nicht, ob Pop schön oder Scheiße ist, ob Elektronikgefummel und Rock'n'Roll sich beißen, ob Drum'n'Bass und Bossanova zusammenpassen: das stört und interessiert auf dem Album wie auch in der Galerie niemanden.

Auch nicht, daß insbesondere die Älteren unter uns bei Events in der Galerie öfter das Gefühl beschleicht, daß sich einige Dinge nie ändern werden, daß vieles von dem so oder ähnlich schon in anderen, mittlerweile in die Jahre gekommenen Institutionen des Berliner Nachtlebens stattgefunden hat. So war ein Konzert der Stuttgarter Midget eine Sternstunde des Garagenrocks, wild, gequält, kaputt, anstrengend. Und der Auftritt des Trios Floating Dimorel erinnerte viele an gute, alte Zeiten im Ex 'n' Pop: was die Musik und vor allem das Styling des Sängers betrifft, mit Sonnenbrille, schwarzem Jackett und langer Pilzfrisur. Selbst ein sonst eher skeptischer Mensch wie Knochengirls Mario Mentrup war bei so viel Rückwärtsgewandtheit begeistert.

In der Galerie selbstironisiert man das gern mit Begriffen wie „Gothic Keller Berlintokyo“ oder verweist wie Vredeber Albrecht, ein anderer der sechs Galeriebetreiber, auf die eigene Nichtberliner Sozialisation: „Ex'n'Pop, klar, weiß ich, aber da war ich noch nie gewesen.“ „Cool“ findet Jakob das, was sie machen, und das meint er richtig ernst. „Wir haben einen Wahnsinnsspaß, wir sind anti- kommerziell, uns interessiert kein Kunstmarkt und nichts. Und wenn wir mal mit irgendwas danebenliegen, macht es eben auch nichts.“

Für „Spielkreis No 3“, den dieser Tage erscheinenden zweiten Sampler („Spielkreis No 2“ ist übrigens ein „Heft To Go“, eine Art Fanzine, das einen lustigen Überblick über einiges an Aktivitäten und Ausstellungen verschafft), hat man allerdings vorsichtshalber und auch aus Platzgründen eine ästhetische Auswahl getroffen. Alle Beiträge wurden exklusiv für den Sampler aufgenommen, und selbst wenn das Album professioneller produziert ist (und mit der Hilfe des Berliner Labels Bungalow herausgebracht und vertrieben wird), klingt vieles weiterhin so, als sei es zwischen dem fünften Bier und dem zweiten Joint entstanden.

Britta spielen Kuschelrock, Mina surfen elektronisch-abstrakt durch Zeit und Raum, Monoland zeigen den Hardrockern, was ein Chill-out ist, und Jeans Team setzen ihren alten Hit „Hey Rock 'n' Roll, das kannst du mit uns nicht machen“ in die Tat um und talken elektronisch. Worauf alle Beteiligten auch diesmal nicht scharf sind: in die Mühlen irgendwelcher Plattenfirmen zu geraten mit Album- Veröffentlichung, Promotion, Tour usw. Man macht lieber „einfach so“, produziert schnell und in kleinen Auflagen und Formaten und bewahrt so Unabhängigkeit und Spaß.

Daß viele der mittlerweile geschaffenen Fundamente auch schnell wieder einstürzen und hier gelegte Spuren im Nichts enden können: das liegt in der Natur der Bands, dieser Veröffentlichung und letztlich auch der Galerie Berlintokyo. Gerrit Bartels

Spielkreis No 3 (Bungalow/Efa), erhältlich bei der Galerie Berlintokyo, Tel./Fax: 2810490

Record-Release mit Mina, Captain Space Sex sowie Françoise Cactus und Brezel Göring als DJs: heute ab 22 Uhr, Rosenthaler Straße 38, Mitte