■ Fünf Jahre nach dem Umweltgipfel von Rio taumelt die Bewegung zwischen Öko-Optimismus und Katastrophismus: Party oder Trauerfeier?
Jubiläumsfreudige UmweltschützerInnen haben 1997 viel zu bilanzieren. Wer die kurze Frist bevorzugt, kann auf die fünf Jahre zurückschauen, die seit dem Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro vergangen sind – so wie es eine UN- Generalversammlung Mitte des Jahres in New York auch tun wird. Wem eher die mittlere Perspektive behagt, der wird sich die Dekade vornehmen, die zwischen dem Brundtland-Bericht von 1987 und der Gegenwart liegt. Und wem all das unzureichend vorkommt, um die großen Tendenzen der Umweltpolitik zu verstehen, dessen Blick wird auf 1972 fallen, das Jahr, in dem uns der Club of Rome die Grenzen des Wachstums prophezeite und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen aus der Taufe gehoben wurde. Seitdem ist ein Vierteljahrhundert verstrichen.
Es wird sicherlich nicht mehr lange dauern, bis der journalistische Betrieb sich hierzulande an die Bilanzen macht. Zu befürchten steht, daß dabei das gewohnte Schwarzweißbild herauskommt: Die „kritischen“ Blätter und Sender werden einmal mehr nachweisen, daß zum Schutz der Umwelt fast nichts oder doch viel zuwenig geschehen ist und die Fahrt ungebremst Richtung Abgrund weist, wenn nicht unbedingt in Deutschland, so doch ganz sicher im Weltmaßstab: Hoffnung? Nein, danke! Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums werden sich die Öko-OptimistInnen tummeln und uns mit ihren Frohmutsphrasen beglücken: Alles ist (oder wird zumindest bald) gut! Doch die Wirklichkeit hat mehr Facetten als Schwarz und Weiß.
Wer sich mit dem Umweltthema ernsthaft auseinandersetzt, weiß, daß anhaltende Fehlentwicklungen neben bescheidenen Erfolgen stehen, mehr Autobahnen neben besseren Kläranlagen, wachsende Siedlungsflächen neben Kraftwerksfiltern, neuer Braunkohletagebau neben Windrädern. Es ließe sich auch allgemein sagen: Wo es um „Reinigungs“-Technik geht, ist in den Zeiten des Überflusses bei uns manches erreicht worden. Wo es um Ressourcenschonung geht, stehen wir noch am Anfang. Deutschland ist im Laufe der Jahre sauberer geworden, aber weit davon entfernt, nachhaltig zu wirtschaften.
Man könnte über die schrecklichen Vereinfacher hinweggehen, wäre ihre öffentliche Wirkung nicht so ärgerlich. Denn Katastrophismus wie Selbstgefälligkeit führen direkt in die umweltpolitische Lethargie. „Wenn an der Naturzerstörung ohnehin nichts zu ändern ist, dann ist auch alle Gegenwehr sinnlos“, so sagen (unbeabsichtigt) die einen und schüren damit die grassierende Ohnmachtsstimmung. „Wenn in Sachen Umwelt schon alles prima ist, warum sollen dann noch besondere Anstrengungen unternommen werden?“ so fragen (zumindest implizit) die anderen und adeln damit den Status quo und seine ApologetInnen.
All jene, denen das ökologische Thema am Herzen liegt, sollten sich an einem differenzierten Bild versuchen, wenn es ans Bilanzieren der Umweltpolitik geht. Dabei ist ein schmaler Grat zwischen schonungsloser Analyse und Ermutigung zu begehen. Denn tatsächlich kann einem schwindelig werden, studiert man kühlen Kopfes die Prognosen für den globalen Verbrauch an Energie, Rohstoffen und Wasser oder die Entwicklung der klimaverändernden Emissionen, der biologischen Vielfalt und der Bodenerosion. Da gähnt ein Abgrund. Aber es gibt eben auch Signale der Hoffnung, Zeichen gesellschaftlicher Vitalität: Unternehmen, die ihr Geld auf ökologisch anständige Weise verdienen; Gewerkschaften, die sich für eine ökologische Steuerreform engagieren; Gemeinden, die sich Umweltziele setzen; KonsumentInnen, die beim Einkauf auf ökologische Qualität achten; Bürgerinitiativen, die sich querstellen; Regionen, die mit Naturschutz TouristInnen erben. Der Abgrund und der Hoffnungsschimmer, das sind zwei Formen von Realität. Wie im richtigen Leben: Also, Freunde der Erde, versinkt nicht in Larmoyanz über die schlechte Konjunktur für das Umweltthema, sondern haltet den Spagat aus und zeigt Selbstvertrauen.
Es ist höchste Zeit für ein rauschendes Fest, auf der die Umweltbewegung ihre Erfolge feiert (Das ist auch deutschen UmweltschützerInnen, die schwer am Elend der Welt tragen, nicht verboten!). Man muß wirklich auf die frühen siebziger Jahre zurückschauen, um das Ausmaß des öffentlichen Bewußtseinswandels in Sachen Natur und Umwelt zu erfassen. Für eine Herkulesaufgabe wie den ökologischen Strukturwandel, die nur vergleichbar ist mit der Erkämpfung bürgerlicher Freiheitsrechte und sozialer Rechte, sind selbst 25 Jahre ein kurzer Zeitraum. Die Etablierung neuer Institutionen und das gesellschaftliche Einüben neuer Praktiken brauchen nun einmal Zeit, auch wenn es unsereinem nicht immer schnell genug gehen mag.
Idealer Veranstaltungsort für eine solche Party wäre etwa Kalkar am Niederrhein, wo der Schnelle (Nicht-)Brüter demnächst zu einem Freizeitpark mutiert und wo heute friedlich Ringelgänse leben. Gibt es ein besseres Erfolgssymbol? Vielleicht läßt sich ja Altkanzler Schmidt – Sie erinnern sich: der mit der „Energielücke“ – für das kabarettistische Begleitprogramm gewinnen. Freilich sollte man sich und seinesgleichen auch nicht verschonen. Denn die Sprache der „unheimlichen Betroffenheit und Empörung, die ein Stück weit entmutigt hat“, dieses westdeutsche Wohlstandsgebrabbel grüner Provenienz, hat es wahrlich verdient, durch den Kakao gezogen zu werden.
Lange Jahre hat die Umweltbewegung nur gegen Fehlentwicklungen gekämpft, gegen Müll- und Autolawinen, Pestizide, Atomkraftwerke und Kohlegruben. Dabei ist manche schmerzliche Niederlage eingefahren worden. Seit einer guten Dekade streitet man nun auch für positive Ziele, für Bahn und Kreislaufwirtschaft, Bio- Landbau, Solarenergie und Energieeffizienz – mit Erfolgen hier und dort. Beide, die Verneinung und die Bejahung, sind gleichermaßen wichtig. Indes, es kommt auf die Balance an. Wenn neuerdings manch grüner Pragmatiker glaubt, Bürgerinitiativen als naiv abtun zu müssen, dann ist das eben genauso kurzsichtig wie die Attitüde mancher Öko-Aktivisten, die allzu vorschnell „Verrat“ plärren, wenn sich Unternehmen an einer grünen Philosophie versuchen. Vielleicht sollte sich die Umweltbewegung einen neuen Leitspruch zulegen: „Eure Rede sei ja, ja, ja, wenn es für das Richtige zu streiten gilt, und sie sei nein, nein, nein, wenn es gegen das Falsche geht.“ Reinhard Loske
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