Fünf Jahre Irak-Krieg: Pakt der Feinde
Ein US-Hauptfeldwebel und Saddams oberster Geheimdienstchef standen sich im Krieg vor fünf Jahren feindselig gegenüber. Jetzt arbeiten sie Hand in Hand.
BAGDAD taz Abed Ahmed ar-Rasak Attias Frau hat gekocht. Es gibt Reis mit Mandeln, Rosinen und Kardamom, Hühnchen in Currybrühe, Salate aller Art und zum Nachtisch Bananen. Den Gästen soll es an nichts fehlen. Attia hat jedoch nicht für Freunde so üppig aufgetischt, sondern für Hauptfeldwebel Eric Geressy und seinen Zug von der Kompanie E der 2. Schwadron des 2. Stryker-Kavallerieregiments. Vor genau fünf Jahren standen sich die beiden Männer an der Front im Krieg zwischen den Amerikanern und Saddam Hussein gegenüber. Geressy rückte aus Kuwait nach Bagdad vor, während Attia als oberster Geheimdienstchef der Präsidialgarde für das Wohl und Weh von Saddam Hussein sorgte.
Am 19. März, Punkt 23 Uhr Washingtoner Zeit, hatte Geressys damalige Einheit den Marschbefehl in den Irak erhalten. In Bagdad brach bereits der Morgen des 20. März an. Eine halbe Stunde davor hatte der Krieg mit einem Luftangriff auf einen Farmkomplex in Dora in Südbagdad begonnen, in dem man Saddam Hussein und seine engsten Gefolgsleute vermutete. In Schutzanzügen gegen chemische und biologische Waffen, in denen man tagsüber höllisch schwitzt und nachts elendig friert, blieb Geressys Einheit buchstäblich im Sand stecken. Als sie schließlich in das Kampfgeschehen eingriff, war der Krieg schon fast vorbei. Ein Gefecht gegen die gefürchteten Republikanischen Garden in Hilla, einige Scharmützel auf dem Vormarsch nach Bagdad und in Dora und Geressys Einheit stand im Zentrum der Hauptstadt. Unter dem "Shock and Awe" der alliierten Übermacht war das Regime wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Für Attia und seinen Freund Mohammed Mahmud Keschkol Duleimi, der einst zur Leibwache Saddams zählte und später die schmutzigen Geschäfte des Auslandsgeheimdienstes erledigte, war Saddam dennoch der "größte Führer aller Zeiten". Duleimi sah den Diktator zum letzten Mal Anfang April 2003, als dieser mit seinem Privatsekretär auf einem Boot über den Tigris verschwand. Saddam Hussein war besiegt. Die Massenvernichtungswaffen tauchten nie auf.
Als fünf Wochen später Präsident George W. Bush das Ende der Kampfhandlungen verkündete, ahnten Soldaten wie Geressy bereits, dass ihnen der eigentliche Krieg erst noch bevorstand. Kurz zuvor war in Bagdad die erste Autobombe explodiert. Mit brutaler Gewalt, Vernichtungsfeldzügen gegen die rebellierenden Kurden und Schiiten und Kriegen gegen die Nachbarländer Iran und Kuwait hatte Saddam das Land zusammengehalten. Kaum war der Deckel gehoben, brachen sich die jahrzehntealten religiösen und ethnischen Konflikte Bahn. Der 2006 getötete Terrorist Abu Mussab Sarkawi und seine al-Qaida im Irak, schiitische Milizen, die Nachbarländer und eine völlig überforderte US-Administration taten ihr Übriges dazu.
Vor sieben Monaten ist Geressy dorthin zurückgekehrt, wo der Krieg vor fünf Jahren begann, nach Dora. Mit seinen rund 1,70 Meter, dem kahl geschorenen Schädel und der scharf geschnittenen Nase ist er auf den ersten Blick ein echter Haudegen. Seine Verdienste im Irakkrieg haben den 37-jährigen New Yorker zum stellvertretenden Kommandanten der Kompanie aus dem bayrischen Vilseck befördert. Es ist sein mittlerweile dritter Einsatz im Irak.
Dora ist mit seinen Sunniten, Schiiten und Christen das ehemalige Bessereleuteviertel im Süden der Hauptstadt, einst mit dem typischen Bagdader Bevölkerungsmix. Die Christen waren die Ersten, die der Gewalt weichen mussten. Ihre verwaisten Kirchen im Quartier Hadra im Südosten von Dora werden heute von Geressys Einheit bewacht, im benachbarten Priesterseminar Babel hat die Kompanie nach einer Vereinbarung mit dem Vatikan ihr kleines Heerlager aufgeschlagen. Im von hohen Sprengschutzwänden umgebenen Hof parken die Stryker, Hightechradpanzer, die der Einheit ihren Namen geben. In der Kapelle hängen die Ikonen und auf den langen Fluren stapeln sich Munitionskisten.
Als die Kompanie im vergangenen September in das Priesterseminar einzog, lag die Basis unter ständigem Feuerbeschuss. "Al-Qaida Castle" nannten die Soldaten Hadra. Es war die letzte Hochburg der sunnitischen Extremisten in Bagdad. Die Amerikaner antworteten mit einer Großoperation. Dutzende Al-Qaida-Kämpfer wurden in den Auseinandersetzungen getötet oder verhaftet. Allein in den ersten zwei Tagen hätten die Soldaten hundert Sprengsätze entdeckt, sagt Geressy. Dann kam die Wende.
Eines Tages stand der ehemalige Geheimdienstmann Duleimi vor dem Priesterseminar und bat um ein Gespräch. Aus seinen Motiven macht Duleimi kein Hehl. In Kämpfen mit der Dschaisch al-Mahdi, der Miliz des radikalen Schiitenpredigers Muktada al-Sadr, hätten die Sunniten von Hadra 67 Männer verloren, allein unter seinen nahen Verwandten waren es acht. Gleichzeitig kamen sie durch al-Qaida, mit der sie sich ins Boot gesetzt hatten, unter Druck, weil die Zeloten versuchten, ihre altertümlichen Vorstellungen auch unter den eher gemäßigten Sunniten durchzusetzen. Das machte sie wiederum zur Zielscheibe der Amerikaner. "Die Sunniten merkten, dass sie alles zu verlieren drohten", sagt Geressy. Nun war die andere Seite des Offiziers gefordert, sein Pragmatismus und sein Verhandlungsgeschick.
Aus dem Vorfühlen ist eine enge Zusammenarbeit geworden. Mittlerweile haben Duleimi und Attia eine sunnitische Bürgerwehr aufgestellt. Für die 1.000 Männer geben die Amerikaner jeden Monat 30.000 Dollar aus. In blauen Neonwesten stehen sie an den Ecken und Straßen von Hadra, ein wilder Haufen von abgerissenen Gestalten mit Kalaschnikows. Die meisten gehörten Untergrundgruppen an, auf deren Konto zahlreiche Morde und Entführungen gehen. Sollten sich schiitisch dominierte Polizei oder Armeeeinheiten in das Quartier wagen, gäbe es Krieg, droht Attia beim Tee.
Mehr als 80.000 sunnitische Milizionäre stehen heute im Sold der Amerikaner. Oberbefehlshaber General David Petraeus, Geressys ehemaliger Dienstherr, hat diese Strategie zur Aufstandsbekämpfung vor einem Jahr ausgegeben. Für die Stryker-Kompanie hat sie sich bisher ausbezahlt. Seit gut drei Monaten gab es keinen Angriff mehr auf ihre Basis. Ihre Tipps zu Waffen-, Sprengstoff- und Al-Qaida-Verstecken lobt Geressy als exzellent.
Rund ein Fünftel der Milizionäre soll in die irakischen Sicherheitskräfte integriert werden. Für den Rest wollen die Amerikaner zivile Arbeitsplätze schaffen. Mit einer Finanzspritze von 2.500 Dollar versucht Geressy, Milizionären den Start eines Kleingeschäfts zu ermöglichen. Weit gekommen ist er damit in Hadra nicht. Fünf Jahre erbitterte Kämpfe zwischen US-Soldaten, sunnitischen und schiitischen Extremisten haben den Stadtteil in eine Geisterstadt verwandelt. In voller Kampfmontur schwärmen die Soldaten aus in die 60. Straße. Vorbei an Hauswänden, die mit Löchern von Maschinengewehrsalven und Granateinschlägen übersät sind, stapfen wir durch brackige Pfützen und vermüllte Straßen.
Die 60. Straße war einst die Frontlinie zwischen den sunnitischen und schiitischen Extremisten. Vor den meisten Läden sind die verbogenen, rostigen Eisengitter heruntergelassen. Nur ein Friseur und ein Schreibwarenladen haben geöffnet - und Sundus Alis Geschäft. An der Decke und den Wänden, von denen der Putz bröckelt, hat sie ihr spärliches Sortiment aus Damenoberbekleidung, Unterwäsche und billigen Kosmetika drapiert. Viel verdient habe sie bisher nicht, sagt die 38-Jährige. Aber immerhin sei es so sicher, dass sie ihren Laden vor zwei Wochen eröffnen konnte. Auch ihre Kinder gingen nach zwei Jahren endlich wieder zur Schule. Wie die meisten Iraker klagt Sundus über die mangelnde Strom-, Trinkwasser- und Brennstoffversorgung. Fünf Jahre nach dem Sturz Saddams hat sich die Grundversorgung kaum verbessert. Monatelang hat Geressy mit der schiitischen Regierung gerungen, damit diese ein paar Generatoren aufstellt.
Wie die ehemaligen sunnitischen Untergrundkämpfer hält zurzeit auch die Sadr-Miliz still. Es sei jedoch ein ständiger Balanceakt, die verschiedenen Konflikte unter Kontrolle zu halten, sagt Geressy. Um diese in politische Bahnen zu lenken, unterstützt die Kompanie den Bau eines Gebäudes für den Gemeinderat. Die beiden ehemaligen Saddam-Getreuen machen aber keinen Hehl daraus, dass sie von einer demokratischen Machtteilung wenig halten. Attia und Duleimi haben sich mit dem Machtverlust der Sunniten noch lange nicht abgefunden. "Die Amerikaner sind unsere besten Freunde", sagt Attia. Ihr größter Fehler war jedoch, dass sie die Iraner an die Macht brachten, sagt er über die schiitisch-kurdische Regierung. Die Verbrechen des Saddam-Regimes sind für ihn und Duleimi nichts anderes als eine einzige große Propagandalüge der Schiiten und Kurden. Auf Regierungsseite sieht es nicht besser aus. Dort vermutet man hinter den sunnitischen Forderungen vorzugsweise Umsturzversuche.
Ruhig hört sich Geressy die Tiraden von Attiya und Duleimi an. Dann bläst er zum Aufbruch, seine Scharfschützen klettern vom Dach und verschwinden in ihren Hightechpanzern. Dröhnend setzt sich der Konvoi in Bewegung. Geressy macht sich keine Illusionen, dass die Freundschaft zu den beiden wieder in Feindschaft umschlagen kann. "Meine wichtigste Aufgabe ist die Sicherheit meiner Soldaten." Dafür sieht er auch über die Vergangenheit der beiden ehemaligen Saddam-Vertrauten hinweg. "Wenn sich mein Einsatz am Ende auch für die Iraker auszahlt, dann habe ich in den Jahren, die ich hier gekämpft habe, noch etwas Sinnvolles getan."
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