Fünf Jahre Irak-Krieg: "Irak als Einheit nicht wünschenswert"
Der Ex-Diplomat Peter W. Galbraith sagt eine Spaltung des Irak in wahrscheinlich drei Teile voraus. Die Bilanz des Irak-Krieges ist für Amerika schlecht.
taz: Herr Galbraith, geht es dem Irak nach fünf Kriegsjahren besser als 2003?
Peter Galbraith: Ja, gar keine Frage. Zumindest geht es den meisten Menschen besser. Saddams Regime, eines der brutalsten seit dem zweiten Weltkrieg, ist Geschichte. Die Kurden haben einen unabhängigen Staat und damit das, was sie immer wollten. Und die Schiiten sind dabei, mit ihrer Mehrheit im Süden eine Theokratie nach iranischer Machart aufzubauen. Dafür haben sie sich in demokratischen Wahlen ausgesprochen.
Aber das ist doch nicht das demokratische Leuchtturm-Modell für den Mittleren Osten, das sich die Bush-Regierung vom Irak vor Beginn des Krieges erhoffte.
Trotzdem ist die Lage in vielerlei Hinsicht nun einmal besser als 2003. Es gibt keine Sanktionen mehr, die Wirtschaft erholt sich zunehmend. Die Menschen haben Handys, Satellitenfernsehen und schnelle Autos. Das alles gab es früher nicht.
Sie klingen geradezu begeistert.
Naja. Es gibt natürlich Orte enorm wichtige obendrein , in denen sich die Situation nicht gerade zum Besseren gewendet hat. Die Hauptstadt Bagdad etwa, in der 20 Prozent der Gesamtbevölkerung leben. Oder die nordöstlich von Bagdad gelegene Provinz Diyala. Aber der kurdische Nordteil und der schiitische Süden sind größtenteils sicher.
Hat sich für die USA der Krieg also gelohnt?
Nein, überhaupt nicht. Die eigentlichen Ziele sind völlig verfehlt worden. Die Bush-Regierung hat 2003 den Krieg mit Saddams vermeintlichen Massenvernichtungswaffen rechtfertigt, doch die sind nie gefunden worden. Der Terrorismus sollte bekämpft werden, doch al-Qaida hatte nie eine Verbindung zum Saddam-Regime, sondern hat sich erst aufgrund des Konflikts im Land festsetzen können. Anstatt den Irak zu demokratisieren und so dem Westen anzunähern, hat der Krieg ausgerechnet dem Nachbarn Iran den größten strategischen Sieg seit dem Vertrag von Qasr-e-Shirin 1639...
...dem Vertrag, der die Grenze zwischen dem osmanischem und dem persischen Reich regelte...
...beschert. Nicht zu vergessen die gigantische Verschuldungspolitik, die einen wichtigen Teil zur derzeitigen Wirtschaftskrise beiträgt. Das alles hat dazu geführt, dass das Ansehen der Vereinigten Staaten noch nie so katastrophal war wie heute. Um die USA steht es also viel schlechter als vor dem Krieg.
Welche Rolle spielt der Irak heute in der Region?
Das Land ist ein Loch für eine ganze Reihe von Konflikten geworden. Der Irak war einmal so etwas wie die Trennmauer zwischen Sunniten und Schiiten und der arabischen und persischen Welt. Jetzt ist das Land zu einem ethnischen Schlachtfeld geworden, das obendrein zu einem großen Teil unter iranischem Einfluss steht.
Sehen Sie überhaupt eine Möglichkeit, den Irak als Einheit zu erhalten?
Nein. Ich glaube auch nicht, dass das wünschenswert wäre. Es widerspricht zudem der jetzigen Realität. Die kurdische Region im Norden ist defacto längst unabhängig. Sie hat ihre eigene Armee, ihr eigenes Parlament, lässt irakische Streitkräfte nicht auf ihr Gebiet und hat die nationale Flagge verbannt. Es gibt eigentlich nicht Irakisches in Kurdistan. Wie wollen Sie Menschen, die zu 98 Prozent für Unabhängigkeit gestimmt haben, dazu bringen, ein Teil des Irak zu werden? Hinzu kommen der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Die mörderischen Auseinandersetzungen in den letzten Jahren zeigen doch, wie groß die Feindlichkeiten auf beiden Seiten sind.
Könnte eine Aussöhnung nicht doch noch stattfinden, wenn man sich endlich auf wichtige Initiativen einigt, wie etwa das Ölgesetz oder Korrekturen an der Verfassung?
Diese Zielsetzungen werden leider nicht erreicht, weil sie die Iraker schlicht und ergreifend nicht wollen. Die "Benchmarks" stehen wie die gesamte US-amerikanische Politik seit Beginn des Krieges unter der falschen Annahme, dass es ein irakisches Volk mit einer gemeinsamen nationalen Identität gäbe. Die Realität sieht völlig anders aus.
Aber es gibt doch seit ein paar Monaten Zeichen der Hoffnung. Kämpfen nicht in der Anbar-Provinz Sunniten an der Seite der USA gegen al-Qaida? Und was ist mit der Waffenruhe, die der radikale Prediger Muqtada al-Sadr seiner Miliz auferlegt hat?
Die Situation hat sich verbessert, das will ich gar nicht bestreiten. Es ist auch richtig, dass es mit der sunnitischen "Anbar-Awakening" im Kampf gegen al-Qaida Fortschritte gibt. Doch das sind ja keine Menschen, die gleichzeitig die irakische Regierung unterstützen. Bessere Sicherheit heißt noch lange nicht, dass die Versöhnung vor der Tür steht.
Halten Sie eine Zersplitterung in drei Regionen, so wie in ihrem 2006 erschienenen Buch "Das Ende des Irak", noch immer für das wahrscheinlichste Szenario?
Es wird zumindest zwei Staaten geben: Kurdistan und den arabischen Teil des Irak.
In dem Sunniten und Schiiten friedlich zusammenleben?
Eben das ist nicht besonders realistisch. Sunniten und Schiiten sehen sich zwar beide als Iraker, aber ihre Visionen unterscheiden sich fundamental. Die Schiiten sehen sich allein schon aus demographischen Gründen und aufgrund ihrer Leidensgeschichte unter Saddam dazu befugt, das Land zu regieren. Entsprechend haben sie zu 90 Prozent eine Partei gewählt, die aus dem Land einen Schiitenstaat machen will. Die Sunniten sehen die Schiiten aber noch immer als eine islamische Splittergruppe, die sich zu allem Übel auch noch mit dem Iran verbündet hat. Fest steht: Wir werden Menschen, die nicht zusammenleben wollen, nicht zusammenbringen können. Diese Erfahrung haben wir schon in Jugoslawien Anfang der 90er Jahre gemacht.
Würde ein solches Szenario die Macht Irans nicht nur noch weiter ausdehnen? Ein zersplitterter Staat kann doch schlecht ein ernstzunehmender Konkurrent sein.
Der Iran wird seinen Einfluss so oder so aufrecht erhalten. Die Frage ist nur, in welchem Ausmaß. Bei einem geteilen Irak beträfe dies nur den schiitisch dominierten Süden. Die Alternative wäre ein künstlich zusammengehaltenes Land, das komplett unter iranische Kontrolle fiele. Schon jetzt wird die Zentralregierung in Bagdad von Politikern dominiert, die seit Jahrzehnten vom Iran untersützt werden.
Noch immer sind 160.000 US-Soldaten im Irak stationiert. Die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten wollen im Falle eines Wahlsieges zügig mit dem Truppenabzug beginnen und ihn womöglich schon Ende 2009 abgeschlossen haben. Wie realistisch sind diese Pläne?
Ich halte das für machbar und sinnvoll. Es gibt die falsche Vorstellung, dass etwas ganz Furchtbares eintritt, wenn wir uns zurückziehen. Eines dieser Szenarien ist, dass dann die Terroristen gewinnen, ein anderes, dass die Iraner das Land komplett übernehmen. Beides ist Unsinn.
Warum?
Allein schon aus demographischen Gründen wird al-Qaida nicht gewinnen und Osama bin Laden nicht in den ehemaligen Saddam-Palast einziehen. Das wird ein Land, das zu sechzig Prozent schiitisch dominiert und in dem al-Qaida selbst unter Sunniten nicht sonderlich populär ist, schon zu verhindern wissen. Und Iran kann schlecht eine Kontrolle übernehmen, die längst schon hat.
Angenommen, die Demokraten gewinnen im November. Was würde das für die Euopäer bedeuten?
Egal ob Hillary Clinton oder Barack Obama beide würden wohl in Europa ersteinmal gefeiert. Die USA dürften mit Sicherheit zu einer stärker von Kooperation geprägten Außenpolitik zurückkehren. Alliierte würden wieder wichtiger. Dass dürfte dann aber auch heißen, dass Europa und nicht zuletzt Deutschland eine größere Bereitschaft zeigen müsste, den USA im Antiterrorkampf zur Seite zu stehen. In Pakistan etwa wird Hilfe gefragt sein, auch im Irak. Insbesondere aber gibt es in Afghanistan Nachholbedarf.
INTERVIEW: VEIT MEDICK
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