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Führungswechsel beim Berliner ParteitagDie Linke stellt sich neu auf

Am Wochenende übernehmen voraussichtlich zwei bislang weniger bekannte Gesichter den Landesvorsitz: Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer.

Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer sollen die neue Doppelspitze der Linkspartei bilden Foto: Doro Zinn

Berlin taz | Wenn sie gewollt hätte, dann wäre Katja Kipping am kommenden Wochenende zur alleinigen neuen Vorsitzenden der Berliner Linken gewählt worden; so heißt es unisono in der Partei, zumindest hinter vorgehaltener Hand. Doch die prominente ehemalige Sozialsenatorin, die bereits jahrelang die Bundespartei anführte, hat sich gegen die Übernahme einer neuen Parteifunktion entschieden. Auch Klaus Lederer als zweiter Linken-Promi der Stadt steht nicht zur Verfügung. Deshalb wird die Linke bei ihrem Landesparteitag ein Duo an ihre Spitze wählen, das öffentlich bislang wenig bekannt ist und mit dem vorher kaum jemand gerechnet haben dürfte.

Als voraussichtlich konkurrenzlose Kan­di­da­t:in­nen ins Rennen um die Nachfolge der nicht mehr kandidierenden Katina Schubert gehen die Vizechefin der Abgeordnetenhausfraktion und bildungspolitische Sprecherin Franziska Brychcy und der Fraktionschef der Linken in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung, Maximilian Schirmer. Aussichtsreiche Gegenkandidaturen lagen bis Mittwoch nicht vor.

Für die Partei bedeutet dies einen Generationswechsel: Brychcy, 39 Jahre alt, und der erst nach dem Mauerfall im Jahr 1990 geborene Schirmer stehen für eine Linke, die sich in den vergangenen Jahren stark verjüngt hat. Weil beide zudem sämtliche Anforderungen an parteiinterne Proporzlogiken erfüllen, ist ihre Doppelkandidatur bislang unumstritten.

Neben der obligatorischen geschlechtlich quotierten Spitze ist dies zuallererst die Verbindung von Ost und West. Zwar in Meißen geboren, gilt Brychcy dabei als Vertreterin der Westbezirke – zehn Jahre war sie Vorsitzende des Kreisverbandes Steglitz-Zehlendorf. Der in Ostberlin geborene Schirmer steht dagegen für das alte Zentrum der Partei. Die Dominanz der Ostbezirke gehört dabei der Vergangenheit an. Die Delegierten auf dem Parteitag in den Reinbeckhallen in Köpenick werden erstmals zu jeweils etwa der Hälfte aus Ost und Westbezirken kommen.

Landesparteitag

Sechseinviertel Stunden sehen Tagesordnung und Zeitplan des Landesparteitags der Berliner Linkspartei am Samstag für die Wahl des neuen Vorstands vor – immerhin schon nach einer Dreiviertelstunde soll die neue Doppelspitze gewählt sein. Sie ist die erste in der Geschichte des Berliner Landesverbands der Linkspartei und zuvor der PDS: André Brie, Petra Pau, Stefan Liebich, Klaus Lederer und zuletzt Katina Schubert führten die Partei jeweils allein an.

Zu den inhaltlichen Anträgen gehört jener aus Treptow-Köpenick, der fordert, vor der Parteizentrale am Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte die blau-gelbe Ukraine-Flagge aufzuziehen. Ein weiterer Antrag drängt darauf, daran festzuhalten, dass 10 Prozent aller neu zu vermietenden Wohnungen in öffentlicher Hand für wohnungs- und obdachlose Menschen zur Verfügung stehen sollen. (sta)

Dagegen haben parteiinterne Strömungen in der Berliner Linken zuletzt an Bedeutung verloren; der Zusammenschluss der einst mächtigen Reformer, das Forum demokratischer Sozialismus, ist nicht mehr präsent; auch der Wagenknecht-Flügel ist zumindest unter den Delegierten nahezu bedeutungslos. Weder Schirmer noch Brychcy gehören einer Parteiströmung an.

„Die Lage ist komplex“, sagt der wieder kandidierende Landesgeschäftsführer Sebastian Koch zur Arithmetik der Berliner Linken. Je nachdem, welche Frage gestellt werde, gäbe es „ganz unterschiedliche Mehrheiten“. So stünde die Partei mehrheitlich für das „Ziel des Regierens“, ebenso aber für den Anspruch, „kämpferischer“ aufzutreten.

Zuletzt waren es mehrheitlich Delegierte aus den Westbezirken, die kritischer auf Regierungsbeteiligungen schauten. Gleichwohl ist Brychcy keine Gegnerin von Regierungsbündnissen. Und Schirmer aus dem regierungsaffinen Osten betont stets seine Nähe zu außerparlamentarischen, etwa antifaschistischen Gruppen. „Der Gegensatz Regierungs- gegen Straßenpolitik lässt sich nicht nachweisen“, sagt Koch.

Doch gibt es in der Partei jene, die sich als linker betrachten, die deutlichere Ansagen und weniger Kompromissbereitschaft fordern und sich auch gegen die rot-grün-rote Koalition nach der Wahl 2021 positionierten, wie etwa die Stadtentwicklungspolitikerin Katalin Gennburg. Kritik an der neuen Parteiführung ist von ihr und den andere „Parteilinken“ jedoch nicht zu erwarten: Gennburg kandidiert für einen von nun vier vakanten Posten der stellvertretenden Parteivorsitzenden, nachdem die bisherigen drei Vizes alle auf eine erneute Kandidatur verzichten. Neben Gennburg bewirbt sich der ebenso regierungskritische Sprecher des Neuköllner Bezirksverbandes, Ruben Lehnert.

Gegenwind gegen die in der Vergangenheit mitunter als Störenfriede empfundenen Linken dürfte diesmal ausbleiben. Nicht nur hat Gennburg drei Mal ihren Wahlkreis direkt gewonnen und ist die Neuköllner Linke inzwischen der Verband mit den höchsten Wahlergebnissen, auch kandidieren die beiden in einem wohl austarierten Team. So ist der Dritte im Bunde der dem pragmatischen Flügel um den bisherigen Kultursenator Klaus Lederer zuzuordnende Fraktionsvorsitzende der Linken in Marzahn-Hellersdorf, Björn Tielebein. Als vierte Kandidatin geht Deniz Seyhun ins Rennen, die für die Linken im Bezirksparlament von Mitte sitzt.

Während so manche, die sich zur Parteilinken zählen, zumindest intern von einem Linksschwenk und einer Vertiefung der Bewegungsorientierung sprechen, lautet das äußere Signal: Die Partei setzt auf Einigkeit; Machtkämpfe kann und will man sich angesichts der existenzbedrohenden Situation der Bundes-Linken und des Verlusts der Regierungsbeteiligung in Berlin nicht leisten.

Politisch dürfte der personelle Umbruch nicht allzu groß ausfallen. Eine mögliche Verschiebung in Richtung akzentuierter Kritik geht zudem mit der neuen Oppositionsrolle einher, die dafür mehr Raum lässt, als wäre die Partei weiter in Regierungsverantwortung. In ihrem Bewerbungsschreiben kündigen Brychcy und Schirmer eine „kämpferische und kluge Opposition gegen Verwertung, Privatisierung und den Ausverkauf der Stadt“ an. Dagegen hat niemand etwas.

Die Aufgabe des neuen Parteivorstandes wird sein, die Partei so zu positionieren, dass sie mit Gewinnen aus der Abgeordnetenhauswahl 2026 hervorgeht. Die Linke will sich dafür einem neuen inhaltlichen Leitbildprozess verschreiben. In Zusammenarbeit mit möglichst vielen außerparlamentarischen Gruppen, Verbänden und Vereinen will man ein „Projekt der Stadt von unten“ erarbeiten, wie es im Leitantrag zum Parteitag heißt. „Wir wollen uns das inhaltliche Programm erarbeiten, mit dem wir 2026 mit möglichst großer Unterstützung der Stadtgesellschaft in den Wahlkampf gehen können“, sagt Landesgeschäftsführer Koch.

Bleibt die Frage, ob der neue Vorstand für die Öffentlichkeitswirkung der Partei nicht auch ein Problem sein könnte. Die fehlende Bekanntheit des neuen Spitzenduos sei nicht optimal, doch ein Kandidat von stadtweiter Bekanntheit habe sich eben nicht gefunden, heißt es aus der Partei. Zudem: Die Bekanntheit komme auch durch das Amt. Schwieriger ist schon, dass beide Kan­di­da­t:in­nen nicht das Charisma zumindest eines Klaus Lederer versprühen. „Für den parteiinternen Prozess, den sie zu organisieren haben, müssen sie keine Marktplatzleuchten sein“, sagt ein Abgeordneter.

Dennoch könnte sich das Gewicht zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung zukünftig stärker auf die Fraktion verschieben. Auffällig ist zumindest, dass jene Kandidat:innen, die bislang hinter Lederer, Kipping oder Schubert in der zweiten Reihe der Aufmerksamkeit standen, etwa die Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg oder Tobias Schulze, in der Neuaufstellung der Partei nicht mitmischen. Ihre Namen werden wohl dann auftauchen, wenn sich auch die Fraktion in den nächsten Monaten neu formieren wird. Dem Vernehmen nach wird Carsten Schatz sein Amt als Fraktionschef aufgeben. Die Linke arbeitet an einer umfassenden Neuaufstellung.

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