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Führungsdebatte gerät außer KontrolleFDP droht Kernschmelze

Der bisher loyale Generalsekretär Lindner setzt sich in der AKW-Frage von Parteichef Westerwelle ab. Dieser sieht sich lauten Rücktrittsforderungen ausgesetzt.

Vorsicht, Guido, die Mittdreißiger kommen: Philip Rösler, Christian Lindner und Daniel Bahr drängen in der FDP an die Macht. Bild: dapd

BERLIN taz | Wäre der Vergleich nicht etwas unfein, ließe sich sagen: Der FDP ergeht es derzeit wie einem havarierenden Atomreaktor. Nachdem die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz für die Partei desaströs verlaufen sind, gerät die lange schwelende Diskussion über ihr Führungspersonal außer Kontrolle. In diesen Tagen scheint alles möglich, auch der Rücktritt des Parteivorsitzenden.

Sichtbarstes Zeichen für die Machtverschiebung in der Partei ist der Vorstoß von Christian Lindner. Der FDP-Generalsekretär hatte am Dienstag überraschend gefordert, die acht derzeit abgeschalteten Atomkraftwerke dauerhaft stillzulegen. Eine Vereinbarung mit den vier Betreiberkonzernen solle "rasch Rechtssicherheit" schaffen. Lindner sprach sich auch gegen die Übertragung von Restlaufzeiten alter Atommeiler auf neuere Reaktoren aus. Dies sei "politisch nicht vorstellbar".

Parteifreunde und Unionsleute zeigten sich verblüfft bis zornig. Denn indirekt gesteht Lindner damit ein: Die Abschaltung von AKWs folgt nicht fachlichen, sondern politischen Anforderungen. Mit seinen Äußerungen setzt sich Lindner, bislang stets demonstrativ loyal gegenüber seinem angeschlagenen Chef, in einem entscheidenden Punkt von Westerwelle ab. Dieser sieht sich immer lauteren Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen ausgesetzt.

Ob Lindners Vorstoß die Billigung des Parteivorsitzenden hat, ist unklar. Entweder entgleitet Westerwelle gerade die Macht an eine Gruppe aufstrebender Mittdreißiger: Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler, NRW-Landeschef Daniel Bahr und Lindner. Diese warten seit Längerem auf eine Gelegenheit, die Machtverhältnisse in der Partei zu ihren Gunsten zu verändern.

Wird Brüderle aus dem Kabinett rotiert?

Möglich ist auch, dass Westerwelle hofft, durch Zugeständnisse an das Trio seine Macht zu erhalten. Der FAZ zufolge soll der Parteichef Rösler den Posten Rainer Brüderles als Wirtschaftsminister angeboten haben. Bahr, derzeit Staatssekretär im Gesundheitsministerium, könnte dann Rösler nachfolgen. Lindner bliebe Generalsekretär.

Der Kursschwenk wird auch möglich durch die Schwäche der FDP-internen AKW-Befürworter. Diese sitzen vor allem in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz – und haben nun weniger Macht denn je. Bis zu einem Treffen der Führung aus Bund und Ländern am 11. April sollen die Personalentscheidungen gefallen sein.

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20 Kommentare

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  • S
    snoopy

    Rösler als Wirtschaftsminister-"einfach famos"! Betrachtet man die lobbyhörige Gesundheitsreform Röslers, weiß man ja bereits, was der Arbeitnehmer zu erwarten hat. Westerwelle ist und bleibt eben ein Intrigant-, ein "Kalkülator" mit allen Schmutzwassern gewaschen. Wird zeit, dass der von der Bildfläche verschwindet.

  • G
    Gloria

    Man schaue sich diese drei Menschen ohne Format an (aber vermutlich alle studiert und wurden "verwöhnt vom Leben" ) und erwarte nichts Neues oder Gutes von diesen FDP-Versagern.

     

    Hat der Herr Rösler jemals nach seinem Medizin-Studium nur irgendwo 48 Stunden Schichten leisten müssen?

    Gewiss nicht!

     

    Solch eine Oberflächlichkeit und Ignoranz ist längst überholt!

     

    Verwöhnte Gesellen in den Dreißigern, die bitte alle miteinander gehen möchten!!!

    Und am liebsten morgen!

  • S
    Steffi

    Sich nicht nach fachlichen sondern nach politischen Anforderungen zu richten, ist spätestens seit Merkel vom Wähler vielfach abgesegnet und ein grandioses Erfolgsrezept.

     

    Das zwar nicht explizit auszusprechen, aber doch wesentlich unverblümter vor sich her zu tragen als Merkel selber es tut, hat jede Menge Charme.

     

    Ob es ein ebenso grandioses Erfolgsrezept ist, bleibt abzuwarten.

    Es spräche für die Wähler,diekönnten damit erstmals beweisen,dass sie ehrlicher sind als die vielbescholtenen Politiker.

     

    Trau ich denen aber nicht zu.

    Den Spiegel vorgehalten zu bekommen vertragen die nicht.

  • JK
    Juergen K

    Guido !

     

    Die wollen Dir Dein Hartz wegkürzen.

  • P
    pilem

    das hier von kernschmelze gesprochen wird, ist einerseits äusserts geschmacklos, und andererseits müsste bei der fdp erstmal was ordentliches auf den herd, damit überhaupt was schmelzen kann....

  • H
    hippiepunk

    Zitat:

    „Wäre der Vergleich nicht etwas unfein, ließe sich sagen: Der FDP ergeht es derzeit wie einem havarierenden Atomreaktor“. Das kann ich nachvollziehen. Warum der Artikel dann aber mit „FDP droht Kernschmelze“ betitelt ist, verstehen wohl nur ernsthafte Journalisten ....

  • SG
    Sven Gabel

    Im Angesicht der Katastrophe von Japan, von einer "Kernschmelze" bei der FDP zu sprechen finde ich geschmacklos.

    Die FDP bietet genügend Angriffsfläche, da braucht man nun wirklich nicht das Unglück von Fukushima zu banalisieren mit solchen Überschriften.

    Wie wäre es mit etwas mehr Solidarität mit den Opfern in Japan?

  • W
    WasSollDas?

    ich liebe schwarzen humor. aber in anbetracht der entsetzlichen situation nach dem reaktorenunglück in japan - die tagtäglich an dramatik gewinnt - finde ich die überschrift von ausgesuchter pietät-, geschmack-, und taktlosigkeit. oder kurz: so richtig scheiße!

     

    pfui teufel, nee. ihr verhöhnt die opfer und leidenden vor ort! was soll das? da habe ich echt keinen bock mehr, den artikel zu lesen.

  • FB
    Franz Beer

    Die FDP ist auf dem besten wege um sich selbst abzuschaffen.Man ist das schwer .Auf der einen seite müssen die Lobbyisten und die Industrie zufriedengestellt werden,auf der anderen Seite Herr Westerwelle und seine Außenpolitik dann die Gesundheitspolitik die voll daneben gegangen ist .usw usw. Alles große fast unlösbare Probleme.Dann die Frage warum so eine ,,Minnipartei,,deren Mitglieder ein Gasthaus füllen könnten überhaupt Macht hat in Deutschland mit einem Vorsitzenden,der bestimmt keine Qualifikation hat um Parteivorsitzender geschweige Repräsentant Deutschlands im Ausland ist .Guiodo hat sich übernommen(Burn Out) und sollte einfach mal nee Auszeit nehmen in der Privatwirtschaft .Vieleicht bei Mövenpick in der Hotelbranche .

  • T
    TheOrbitter

    Ist Gesundheitsminister Rösler nicht "Dr. med."? Was soll der im Wirtschaftsministerium? Guttenberg, ick hör Dir trapsen. Der hat auch im Wirtschaftsministerium (als Nachfolger von Michael Glos) angefangen und nun ist er seine Würde, seinen Doktor und seine politischen Ämter los. Wo hat Minister Rösler denn abgeschrieben ...

  • KW
    Kurt W. Fleming

    Wirtschaftsradikale - an die Macht!

     

    Das ist der logische Aufschrei, der aus den Reihen der FDP hallt.

     

    Wenn Lindner jetzt eine 180gradige Kehrtwende macht, so ist das logisch in dem Sinne, daß er ein durch-und-durch-Politiker ist, dem Machterhalt mehr bedeutet, als sein Geschwätz von vorgestern.

     

    Und Rößler, der eine Krankheitspolitik macht, die passend ist für das FDP-Klientel, in Zukunft auch für das der Grünen, denn letztere bewegen sich sehr nahe an den Ausdünstungen der FDP, ist da um nichts besser als dieser Lindner, der das Aussehen eines Weicheis hat.

     

    Wenn man bedenkt, daß CDU/CSU/FDP seit ihrem Regierungsantritt schon mehrere verfassungswidrige Gesetze auf die Bundesbürger losgelassen haben, an denen z.T. auch die SPD und die Grünen sich mitschuldig machten, rücken diese Parteien verdächtig nahe an die Verfassungsfeindlichkeit.

     

    Auch Hitler war lange Zeit in seiner auf die Macht vorbereitenden Phase der Meinung, daß man die Demokratie dafür benutzen sollte, um sie abzuschaffen.

     

    Im Großen und Ganzen gehören diese Parteien verboten, mindestens aber vom Verfassungssch(m)utz beobachtet.

     

    Wobei: wer beobachtet aber dann den Verfassungssch(m)utz?

  • C
    chribo

    "etwas unfein" trifft es wohl nicht!

    der vergleich ist absolut dämlich und peinlich. und das bereits in der überschrift.

  • D
    deviant

    Westerwelle hat insbesondere mit Lindner ein großes Problem - denn Westerwelle hat die FDP in eine weitestgehend unpolitische Vereinigung umgebaut, die,solange sie in der Opposition war, Stimmen der Verdrossenen einsammeln konnte. Das kam dem reinen Oppositionspolitiker Westerwelle zu Gute. Nun, in der Regierung, zeigt sich, dass weder Westerwelle noch seine derzeitige Partei auch zum Regieren taugen.

     

    Selbst ich als jemand, der die FDP für das Schlimmst hält, was einer aufgeklärten Gesellschaft passieren kann, muss aber zugestehen, dass Lindner da Talent zu haben scheint, wo Westerwelle so versagt und wo Talent jetzt gebraucht wird.

     

    Lindner erkennt die Zeichen der Zeit schneller als der Rest seiner Partei, genau deswegen wurde er ja in kürzester Zeit zum Kronprinz, dass dem Rösler nur noch die Ohren schlackern (der ja, so scheint mir, ohnehin irgendwo in einer dunklen Höhle abgetaucht ist).

    Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Lindner Westerwelle vom Thron stößt - selbst wenn Westerwelle dieses Mal noch die Kurve kriegen sollte, die ganze Legislaturperiode wird er das sicher nicht mehr schaffen.

     

    Aber keine Sorge, Guido: in irgendeinem deiner heute schon zwei Dutzend gutbezahlten Nebenjobs wirst du schon dauerhaft unterkommen können!

  • MF
    Martin Frensch

    Lieber Herr Lohre,

    der Artikel ist ja soweit okay, aber: Lassen Sie doch bitte diese Atom-Metaphorik. Es passt einfach nicht, wenn Sie diese im Zusammenhang mit einer Pratei-Führungskrise gebrauchen und anderorts wegen der Kernschmelze Menschen sterben.

    Viele Grüße,

    M. Frensch.

  • J
    Josch

    Für diese Überschrift kommt Ihr in die Wortspielhölle! Die Wahrheit wird es richten ;-)

     

    Beste Grüße!

  • M
    MO6968

    Schon etwas fragwürdig, die tatsächlich für sehr viele Menschen dramatischen und bedrohlichen Vorgänge in Japan verbal gleichzusetzen mit der Zersetzung einer ohnehin fast bis zur Bedeutungslosigkeit degenerierten Randgruppenpartei in Deutschland.

  • C
    Christiane

    Shame on you!

     

    In diesen Tagen von einer "Kernschmelze" in Bezug auf strategisch-politischer Machtkämpfe zu sprechen ist geschmacklos.

     

    Mit Unverständnis,

     

    Christiane Schraml

  • K
    knauff

    Entschuldigung, aber diese Überschrift ist reisserisch und geschmacklos. Noch dazu ist das Schicksal der FDP im direkten Vergleich relevant wie das Loch in meiner Unterhose.

  • K
    Kernschmelze

    Tja, die Kernschmelze sind wohl die so genannten Jungsters der FDP.

    Bahr, das Jüngelchen, hat bereits vor wenigen Jahren gefordert, alten Menschen keine Ersatz-Hüftgelenke einzusetzen und hatte gefordert.

    Also macht Frau Angela Merkel einen erneuten Schwenk nach rechts.

    Wo bleibt der Aufschrei?

  • A
    Askelon

    Wenn Bahr Gesundheitsminister wird, dann gute Nacht Deutschland.

    Bahr hat vor nicht wenigen Jahren in der Öffentlichkeit gefordert, alten Menschen die Gesundheitsversorgung ("den Löffel abgeben") abzusprechen.

    Dann gibt es also wieder einen Rechts-Schwenk in der Politik. Und das unter Ab*segnung* von Frau Angela Merkel. Nun denn, lasst uns Widerstand formieren, jetzt schon.