Frühwarnsystem für Corona: Abwasser gibt Auskunft
Es gibt ein Frühwarnsystem für größere Ausbrüche der Pandemie, sagt Umweltmikrobiologe Hauke Harms. Er untersucht Abwässer in Kläranlagen auf Corona.
taz: Herr Harms, das Coronavirus hat einen Durchmesser von 0,0001 Millimetern. Und davon kann man Bruchteile im Abwasser von Kläranlagen nachweisen? Das klingt sehr ambitioniert!
Hauke Harms: Das Virus findet sich tatsächlich. Unsere molekularen Methoden sind sehr spezifisch und sehr sensitiv. Mithilfe der PCR-Tests können wir die DNA vervielfachen. Und damit nachweisen. So ähnlich kennt man das aus der Forensik.
Also vom Münster-Tatort mit Professor Börne zum Klärwerk-Tatort mit Professor Harms?
Ja, das kann man so sagen …
… um dann, salopp gesagt, aus Scheiße Erkenntnisse zu gewinnen?
Ganz genau. Wir geben ja jeder täglich unsere Probe ab beim Klärwerk. Und das nutzen wir.
Und daraus wird dann ein Frühwarnsystem für Covid-19?
Das ist das Ziel – dass wir früher etwas wissen als mit persönlichen Tests. Das Wasser kommt in der Kläranlage an, dann müssen wir analysieren. Das braucht nur ein paar Stunden Zeit. Wenn jemand erst hustet, dann irgendwann testet, dann auf das Ergebnis wartet, dauert das meist viele Tage. Und wir erfassen auch die asymptomatischen Verläufe, also die Leute, die keine Symptome haben. Diese Dunkelziffer können wir im Nachhinein näher bestimmen. Solche Informationen braucht man durchaus. Virussignale, die wir gewinnen, kann man gegenrechnen, kalibrieren mit Studien und aktuellen Infektionszahlen. Vor allem, wenn es plötzlich messbare Veränderungen gibt von einem Tag zum anderen.
Hauke Harms, 58, ist Professor für Mikrobiologie an der Universität Leipzig und unter anderem Leiter des Departments Umweltmikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, UFZ.
Wie lange braucht denn meine Probe vom Zähneputzen bis ins Klärwerk?
Im besten Fall nur wenige Stunden. Bei einem großen Klärwerk wie etwa für Dresden und Umgebung, für mehr als 600.000 Leute, ist das oft deutlich länger unterwegs.
Anfang Mai hieß es, in 20 der gut 1.000 deutschen Klärwerke sollen bald Probeläufe starten. Ist das jetzt passiert?
Wir haben mittlerweile Probenreihen auch von einigen Werken mehr. Die Sache ist nur: Die Infiziertenzahlen sind so sehr heruntergegangen, dass allgemeine Messungen an 20 beliebigen Klärwerken wenig lohnen. Da würden vielleicht 18 oder 19 gar keine Signale mehr liefern. Also sind wir kurzfristig mehr zu den Hotspots gegangen.
Also Frankfurt, Leer, Göttingen?
Wir waren an verschiedenen Orten, haben unsere Messmethoden getestet und gesehen, dass und wie es funktioniert. Auch in Heinsberg. Die Nachweise sind richtig Arbeit, das ist nicht wie ein Schwangerschaftsstest.
Was haben Sie denn in der Praxis bislang gelernt?
Ganz banal: Wir können durchaus geeignete Proben nehmen. Das ist nicht trivial. 250 Milliliter Probemenge an der richtigen Stelle nehmen, eng getaktet, möglichst alle zwei Minuten, dann seriös umrechnen, das ist durchaus aufwendig. Oder dies: Wenn es Starkregen gibt, hat man plötzlich vielleicht nur noch zehn Prozent Abwasser. Da wollen wir aber auch Aussagen machen können. Deshalb messen wir ein Allerweltsvirus mit, das immer ausgeschieden wird, um eine Referenzgröße zum Hochrechnen zu haben: das Virus eines Darmbakteriums. Andere Viren sind also durchaus hilfreich.
Wenn Sie zum Beispiel in Dresden eine bestimmte Menge Coronaviren feststellen, wissen Sie ja noch nicht, in welchem Stadtteil die Quelle liegt.
Stimmt, und Dresden ist ein gutes Beispiel. Dort kann man mit den Kollegen, die das Kanalnetz genau kennen, an Abzweigungen Proben nehmen und sich so dem betroffenen Gebiet nähern. Wir müssen allerdings immer eine bestimmte Anzahl von Infizierten haben, auch weil die ausgeschiedene Menge sich oft sehr unterscheidet – Superspreader gibt es auch allein bei der Virus-Menge. Sonst können wir keine stabilen Aussagen machen.
Später gibt es eine Virus-Wetterkarte?
Ja, wenn man die Möglichkeit zu umfassender Messung hat, wenn wir allen Klärwerken unsere Methoden für den Workflow zur Verfügung stellen können. Jetzt aber müssen wir lokal schnell handeln. Damit ein Ausbruch detektiert werden kann.
Detektiert: So kommen wir von Professor Börne zum Kollegen Thiel. Wer hatte eigentlich die Idee zu der Methodik?
Den ersten Nachweis von Corona-DNA im Abwasser gab es schon im Februar in den Niederlanden. Mittlerweile haben wir festgestellt, dass wir den aktuellen Grenzwert von 50 lokal Infizierten im Schnitt pro Woche gut händeln können. Um dann, so nötig, schnell den Ausschlag für Maßnahmen zu geben.
Dann heißt es, die Wasserwerker und ihre Mikrobiologen haben uns den neuen Shutdown beschert.
Oder dass wir vielleicht drei Tage früher warnen konnten. Drei Tage können einen riesigen Unterschied machen. Nur gibt es dann womöglich wieder das Präventionsparadox, dass nichts passiert und wir gefragt werden: War das wirklich nötig?
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