Frühlingsfest in China: Auf ins Jahr des Hasen
Am Donnerstag beginnt das traditionelle Frühlingsfest in China. Hunderte Millionen Menschen sind unterwegs – neuerdings auch mit einer privaten Mitfahrgelegenheit.
PEKING taz | Herr Mei ist begeistert: Für seine 2.000 Kilometer lange Autostrecke von Peking heim zum Frühlingsfest in die südchinesische Provinz Guangdong hat sich ein Pärchen gemeldet, das zum selben Ziel wollte wie er und bereit war, sich an den Sprit- und Autobahngebühren zu beteiligen. "Ich kann Menschen helfen, die ebenfalls nach Hause wollen. Außerdem habe ich auf meiner Tour Gesellschaft, sagt er.
Herr Mei und seine Mitfahrer gehören zu den Hunderten Millionen Menschen, die sich in diesen Tagen wie jedes Jahr auf den Weg gemacht haben, um das wichtigste Familienfest im Kreise ihrer Lieben zu feiern. Denn am 3. Februar beginnt nach dem traditionellen Bauernkalender das Jahr des Hasen, das auf das Tigerjahr folgt.
Die Reisewelle zum Fest ist die größte Völkerwanderung der Welt - und das geht schon seit vielen Jahrzehnten so. Neu aber ist eine Erfindung, die mit wachsendem Wohlstand und der steigenden Zahl eigener Autos aus dem alten Europa nach China gekommen ist: die organisierte private Mitfahrgelegenheit.
Eine Internet-Plattform bringt seit ein paar Wochen Autofahrer mit freien Plätzen und Reiselustige zusammen - und das mit großem Erfolg. Bereits nach nur wenigen Tagen hatten sich schon allein in Peking über 12.000 Interessenten gemeldet, wie die chinesischen Medien berichteten.
Die meisten Chinesen allerdings reisen immer noch wie eh und je: mit der Eisenbahn, in Langstreckenbussen oder per Flugzeug. Allein mit dem Zug dürften sich in diesem Jahr, so schätzt das Eisenbahnministerium, in der 40-tägigen Hauptreisezeit 700 Millionen Menschen in Bewegung setzen. Mit Sonderzügen und Sonderschaltern versuchen die Behörden den Andrang zu bewältigen. Trotzdem bleiben viele Menschen mit ihrem Gepäck vor den Bahnhöfen stehen, denn die Tickets sind schnell ausverkauft.
Dies ist mittlerweile bitteres Ritual: Jedes Jahr versprechen die Eisenbahner, den Chinesen leichtere und bequemere Reisen zu ermöglichen. Doch die Zahl der Passagiere nimmt rasant zu. In diesem Jahr werden es schon 12 Prozent mehr sein als im Vorjahr.
Der Sprecher des Ministeriums, Wang Yongping, ist ein bedauernswerter Mann: Vor vier Jahren zum Beispiel hatte er versprochen, die Kartenknappheit werde 2010 beseitigt sein. Zwei Jahre später nannte er das Jahr 2012. Und in diesem Jahr verkündete er: "2015 wird der Mangel Geschichte sein."
Um zu verhindern, dass die Kritik in der Bevölkerung an mangelhafter Reiseorganisation durch die zuständigen Behörden zu laut wurde, hatten die Propagandafunktionäre die Zeitungen angewiesen, nicht oder nur sehr wenig über Probleme mit Kartenschwarzhändlern und korrupten Ticketverkäufern zu berichten. Stattdessen sollten "positive Meldungen die Stimmung der Reisenden verbessern - so etwa über staatliche Hilfen beim Fahrkartenerwerb für Wanderarbeiter.
Herr Mei ist sehr froh, dass er sich in diesem Jahr nun nicht mehr in die langen Schlangen vor dem Ticketschalter einreihen und dann noch womöglich die ganze Zugfahrt stehend im Gang vor der Toilette verbringen musste.
Die Organisatoren der Internet-Mitfahrvermittlung sind auf vielfältige Weise geschäftstüchtig: Ihre Mitfahrgelegenheit haben sie gleich mit Werbung verbunden. Sie nennt sich nach einem Produkt, das auf dem reich gedeckten Tisch beim Frühlingsfest nicht fehlen darf, weil es einen besonders erfreulichen Namen trägt: "Goldener Sechs Glück Schnaps gegenseitige Hilfsunion für die Rückkehr zum Frühlingsfest".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren