Frühaufsteher: Hemelingen schlägt Obervieland
Die Fluglärm-Kommission ist eine Lobby-Gruppe der Obervieländer. Sagen die aus Hemelingen. Nun haben sie ein Gutachten erkämpft, das ihnen Recht gibt.
Wo sollen die Flugzeuge morgens ab sechs Uhr aufsteigen und die Nachruhe stören? Diese Frage ist seit Jahren heftig umstritten zwischen den bremischen Stadtteilen. Bis 1985 stiegen die Flugzeuge über Hemelingen auf, seit 2001 drehten einige über dem "Drehpunkt 2,5", das heißt ungefähr über dem Hansa-Karree in Habenhausen, nach Süden ab. Von 2004 bis 2007 flogen sie wieder gerade aus über Hemelingen, heute liegt der Drehpunkt 2,8 nautische Meilen vom Flughafen entfernt.
Bei diesem Hin- und Her ging es immer um die Belastung der Bevölkerung: Wie viele Menschen sind vom Lärm belastet, und welche. Zuständig für die Beratung der Deutschen Flugsicherung (DFS) im bremischen Interesse ist die Bremer Fluglärmkommission (FLK), in der die Vertreter der Stadtgebiete links der Weser ein großes Gewicht haben - Vorsitzender der Kommission ist Ingo Funk, in Personalunion Ortsamtsleiter von Obervieland. Genau deswegen hat diese Kommission immer die Anwohner in Obervieland bevorzugt, sagen die Hemelinger, die in der Sache engagiert sind. Zwei Mal ist der Hemelinger Fluglärm-Gegner Günter Rudolf zum Petitionsausschuss gegangen, weil die Fluglärmkommission und die Umweltbehörde seine Argumente abblockten. Zwei Mal bekam er Recht beim Petitionsausschuss: Die Abflugroute über Hemelingen "belastet" wirklich mehr Menschen als die anderen Varianten, stellte der Ausschuss nach fachkundiger Beratung fest. Im vergangenen Herbst nun gab es einen besonderen Eklat: Es kam heraus, dass die Dreh-Punkt-Variante "2.0", die Hemelingen am meisten entlasten würde, von der Fluglärmkommission ausdrücklich als nicht gewollt aus den Untersuchungsaufträgen ausgeklammert worden war. Daraufhin wurden im Auftrag der Deutschen Flugsicherung die NIROS-Werte (Noise-Impact-Reduction-and-Optimization-System) neu berechnet - unter Einbeziehung dieses Drehpunktes. Das Ergebnis liegt seit Mai vor - und wird unter Verschluss gehalten. Denn es bestätigt, was die Experten der Flugsicherung schon unter der Hand prognostiziert hatten: Der "Drehpunkt 2,0" wäre für die unteren Schallpegel optimal, der Drehpunkt "2,2" für die oberen Schallpegel. Irgendwo dazwischen liegt also das Optimum, alle anderen Abflugrouten belasten belasten mehr Menschen mit Abfluglärm.
Der Widerstand der "Lobby" aus Obervieland gegen diese schlichte Wahrheit ist längst nicht gebrochen. Am 11. August 2009 beauftragte die Fluglärmbeauftragte Britta Giebelhausen die Firma Wölfl, die NIROS-Zahlen zu interpretieren. Wölfl hatte früher schon Gutachten für die Bremer Fluglärmkommission erstellt und bei der Ausklammerung des Drehpunktes "2,0" immer im Sinne des Auftraggebers mitgespielt.
Auch in dem neuen Auftrag vom 11. August 2009 ist der Drehpunkt "2,0" nicht gewollt - ausdrücklich schreibt die Fluglärmbeauftragte, dass nur die Punkte zwischen 2,2 und 5,6 einbezogen werden sollten.
Ende Oktober tagt die Fluglärmkommission wieder und muss die "subjektiven Betroffenheiten" gegen die objektiven Zahlen verteidigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!