: Fronarbeit & Atombömbchen
Die Verwirrung war groß. Obwohl Harald Szeemann mit seinem „Apertutto“-Programm die Biennale in Venedig 1999 für alle Kunst offen halten wollte, hatten die Besucher mit dem Beitrag von Cai Guo-Qiang einige Probleme. Darf man maoistische Propagandakunst als Revival der Kulturrevolution einer modernisierten und rasant global zusammenwachsenden Community zumuten?
Dass der Protest dennoch milde ausfiel, liegt an der heiteren Ironie, mit der der chinesische Konzeptkünstler ans Werk geht. Für Venedig hatte er während der Ausstellung als work in progress im Kollektiv mit anderen Künstlern aus der Region Szechuan die genaue Kopie einer Figurengruppe hergestellt: „Rent Collecting Courtyard“ zeigt hundert ärmliche Bauern, die ihre Güter bei einem Feudalherren abgeben müssen.
Während der Kulturrevolution wurde dieses staatlich in Auftrag gegebene Kunstwerk zum Symbol für die Knechtschaft, die im kommunistischen China endgültig als überwunden galt. In Venedig geriet die Aussage des großformatig rekonstruierten Mahnmals jedoch in einige Schieflage. Plötzlich wurde der künstlerische Akt selbst zur Fronarbeit – zwischen all den nebenan präsentierten Videoboxen zeitgenössischer Kunst sah man ein Dutzend Chinesen täglich braunen Ton kneten und damit Figuren über Strohpuppen modellieren.
Offenbar war darin auch die schier unüberwindliche Kluft zwischen der Befreiung aus der Leibeigenschaft und den Anforderungen eines hoch technologisierten China im 21. Jahrhunderts sichtbar. Zugleich arbeitet Cai Guo-Qiang jedoch viel hintersinniger, als dass man daraus bloß eine gut gemeinte Moral für zukünftige Wirtschaftsfragen ablesen könnte.
Tatsächlich war mit seinem „Rent Collecting Courtyard“ eine Lücke entstanden in der von Szeemann propagierten globalen Kunstgemeinde. Das Ensemble aus Ton erinnerte mehr an eine Ansammlung von Aliens, denen Zeit, Ort und Bestimmung abhanden gekommen sind – just im Moment der Ausstellung. Denn neben der schon 1999 aufbrausenden Repolitisierung von Kunst, die angesichts von Kosovokrieg und New Economy wieder mehr Stellung beziehen sollte, musste Cai Guo-Qiangs fröhlich in einer Gruppe aus Aktivisten geformter Beitrag wie eine Parodie des Politischen wirken.
Als ihm dann von der Jury auch noch ein Sonderpreis zugesprochen wurde, gab es jedenfalls einiges schlecht gelauntes Raunen. Beim Mao-Export ist es trotz des Erfolgs in Venedig nicht geblieben. Mittlerweile lebt der 1957 geborene Cai Guo-Qiang in New York und arbeitet vor allem an der Inszenierung üppiger Feuerwerk-Performances. So ließ er zum Jahreswechsel 2000 für seine Wiener Ausstellung „2yk“ kilometerlange Knallerschlangen an Baukränen über der Stadt abbrennen. Wieder war die Reaktion zwiespältig – ist doch chinesisches Feuerwerk das Klischee asiatischer Kultur schlechthin.
Und wieder hatte Cai Guo-Qiang damit eine Falle ausgelegt. Denn in der Wiener Kunsthalle gab es von ihm als zweite Arbeit einen Parcours mit versteckten Zündplätzchen. Wer zu unvorsichtig in den Raum stolperte, löste über Kontakte im Boden kleine Explosionen aus. Dann gab es einen kurzen Knall und plötzlich zog eine Rauchwolke auf. Sie hatte die Form eines Atompilzes. Das war Cai Guo-Qiangs Gruß an das Jahr 2000 – ein Jahr des Drachen immerhin.
HARALD FRICKE
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