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Frösche sprechen nicht

„20 Minutes“, Teil 3: Dirk Cieslak, Mechthild Erpenbeck und Jo Fabian mit je 20minütigen Inszenierungen zu einem Cassavetes-Film im Theater am Halleschen Ufer  ■ Von Tobi Müller

Das Theater hat ein bißchen Angst vor dem Film. Dies ist ein wiederkehrender Eindruck nach dem Abend im Theater am Halleschen Ufer, wo drei Berliner Theaterschaffende den dreiteiligen Zyklus abschlossen, der sich zuerst im März, dann im Juni mit dem Endsiebziger Streifen „The Killing of a Chinese Bookie“ von John Cassavetes beschäftigt hat. Der griechischamerikanische Filmemacher erzählt eine Geschichte der lost soul Cosmo Vittelli (Ben Gazzara), eines Spielers im doppelten Sinn (Geld, Verstellung) und Nachtklubbesitzers, der seine einstürzende Welt mit beständiger Frauenpräsenz im abgefuckten, illusionsgeschwängerten Varieté- und Gangstermilieu zu kitten versucht. Das Leben als zwanghaftes Spiel, als tödliches auch. Cassavetes beschwört einen zerdehnten, dennoch fiebrigen Realismus, der den gefallenen Grübler wie den philosophischen Phalliker Vittelli nie denunziert.

Dirk Cieslak am Anfang und Mechthild Erpenbeck zum Schluß stolpern bisweilen über die politisch korrekte Nachgeschichte des Films: Indem sie den Finger vor allem auf den potenzlerischen Vittelli richten und ihn, bei Cieslak zwar witzig und gescheit, der Lächerlichkeit preisgeben, sprechen sie letztlich doch fast nur über genau jene Korrektheit, die sie wohl bei Cassavetes vermissen. Zurück bleibt ein unfreiwillig aufgeklärter Blick der Neunziger auf die Siebziger, der den Film bestenfalls streift und weit mehr Antworten gibt als Cassavetes. Etwas bitter der Nachgeschmack, wenn sich die Siebziger plötzlich als offener und experimenteller entpuppen als eine durchaus hippe Performance.

Die Department-Leute um Jo Fabian, der die Regie hier seinem Assistenten Christopher Langer übergab, bewegen sich am radikalsten vom Film weg. Und am überzeugendsten. Kein Text, kein zerstückeltes oder wiederholtes Filmzitat, keine Denunziation, kaum Off-Klischees. Drei Frauen in hochgeschlossenen, züchtig-viktorianischen Kleidern stehen an drei Ecken eines mit Band markierten Quadrates. Der Innenraum füllt sich mit blauem Licht, die Frauen treten ein und besetzen ihn, während ein Mann hinten an der Grundlinie langsam hin- und herzieht, stumm den Frauen Anweisungen zuschreiend. Beschreiben die Frauen erst langsame Gesten, verschärft sich das Tempo später, sie treten an die Frontlinie: Die anmutigen Bewegungen mutieren zu schnellen Abläufen, die an Gebärdensprache erinnern. Aus.

Im Film sind die Frauen meist knapp bekleidet oder barbusig, bei Fabian/Langer verhüllt, in beiden Fällen funktional reduziert. Sei es die Strip-Bühne oder das blaue Quadrat – es gibt diesen Raum, den die Frauen zu besetzen gezwungen sind, der aber auch dazu dienen kann, eine Sprache zu entwickeln: als Ort, zu dem der Mann/ das Wort/der Phallus keinen Zugang hat. Nicht als Antwort oder Programm, sondern als Lesart. Die sinnlichste Erfahrung dieses Abends, die anregendste bestimmt. Die Verrückung macht den Rückgriff auf den Film hier wieder möglich.

Die ersten und die letzten zwanzig Minuten mögen die Verkennung der Geschlechter mit Sprache freilegen. Das ist schnell klar, der Film ist Dreingabe, ein Mehrwert für Kenner. Cieslak und Erpenbeck zertreten bekanntes Territorium, während sich Fabian/ Langer in der Mitte ihr eigenes erschaffen. Zugegeben: Lachen kann man bei ersteren schon, insbesondere Armin Dallapiccola und Judica Albrecht in Cieslaks Arbeit lassen sich den Sprach-Unsinn genüßlich auf der Zunge zergehen. Richtig süß auch Ryan Hill aus Wisconsin mit seiner Geschichte über Stadt und Land. Das Ende des Jahrtausends will er wieder daheim im Farmerstaat verbringen, unter Fröschen, Schlangen und Bäumen. Denn die sprechen nicht.

Bis 7.12., 21 Uhr, Theater am Halleschen Ufer (32)

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