Frisurenfrust wegen Corona: „Keine Schere! Keine Farbe!“
Die Öffnung der Friseurläden zieht sich dahin, die Friseurin Lisa Zeitler lebt vom Ersparten. Über eine Branche in Not und unseriöse Angebote.
taz: Frau Zeitler, Sie sind Friseurmeisterin in Berlin. Wovon bezahlen Sie gerade Ihre Miete?
Lisa Zeitler: Aktuell von meinen Rücklagen. Ab Februar werde ich die laufenden Kosten aus meinen Steuerrücklagen für 2020 begleichen müssen.
Bund und Länder haben entschieden, dass die Friseurgeschäfte weiter geschlossen bleiben. Haben Sie dafür unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes Verständnis?
In Hinblick auf die angespannte Coronalage: definitiv. Ich verstehe auch, dass strikt vorgegangen werden muss. Aber ich halte die Maßnahmen für ungeeignet. Was ich bei den Überbrückungshilfen erlebe, ist nicht mehr zu begreifen. Soloselbstständige und Kleinunternehmer werden durch den Lockdown massiv in wirtschaftliche Bedrängnis gebracht. Und das, während ich von wohlhabenden Leuten aktuell so dreiste Angebote bekomme, dass ich mich manchmal frage, ob die Regierung es darauf anlegt, Schwarzarbeit zu fördern.
Lisa Zeitler36, ist selbstständige Friseurin und Stylistin und betreibt in Berlin das „Double Studio“, eine Art Coworking Space für Friseure und Stylisten.
Was meinen Sie mit dreisten Angeboten?
Ich kriege Anfragen von Kunden und ihren Freunden, die sagen: Ich habe gehört, du bist richtig gut – ich biete dir das Dreifache, wenn du mir die Haare machst.
Und was sagen Sie dann?
Ich mache das nicht. Und ich möchte es auch nicht machen müssen.
Der Staat handelt doch: Bei den Bund-Länder-Beratungen wurde festgelegt, dass die Überbrückungszahlungen an Handwerksbetriebe beschleunigt werden sollen.
Grundsätzlich finde ich es super, in einem Land zu leben, in dem sich die Politik um Menschen wie mich kümmert. Im ersten Lockdown hat uns Handwerkern das den Hintern gerettet. Aber mittlerweile sind die Regularien, an Hilfsgelder zu kommen, so erschwert worden, dass ich sie weder verstehe noch beantragen kann. Das Programm, mit dem ich meinen Bedarf melden muss, funktioniert technisch noch nicht. Und die Ansprüche für meine GbR muss ein Steuerberater geltend machen – und der kostet mich viel Geld. Das ist alles völlig widersinnig.
Sie sind Handwerkerin. Bekommen Sie Unterstützung durch die Kammer?
Gute Frage. Nein. An die Handwerkskammer bezahle ich meine Beiträge. Wofür genau gerade, weiß ich nicht.
Die Kanzlerin hat in einer Pressekonferenz gesagt: Nach den Schulen und Kitas müssten „aus praktischen Gründen dann bald die Friseure drankommen – das ist jetzt aber mehr anekdotisch“. Wie kommt dieser Witz bei Ihnen an?
Darüber kann ich nicht lachen.
Für Ihren Salon hatten Sie bereits im Frühjahr 2020 ein ausgeklügeltes Hygienekonzept angewandt: permanentes Masketragen, lüften, desinfizieren. Warum reicht das nicht?
Ich habe noch Filteranlagen und CO2-Messgeräte gekauft und die Personenanzahl im Studio massiv begrenzt. Warum das nicht reicht, verstehe ich nicht. Wenn ich sehe, wie die Hygieneregeln im öffentlichen Raum – im Supermarkt, in der Bahn, in Arztpraxen – permanent unterlaufen werden, macht mich das ratlos. Da wird nicht kontrolliert.
Immer mehr Menschen greifen jetzt zur Rasiermaschine oder schneiden sich selbst und gegenseitig die Haare. Richtig so – oder fürchten Sie, dass da Kunden wegbleiben werden?
Ich kriege das natürlich mit und denke: Tu’s besser nicht! Aber ich bin sicher, dass sich Qualität durchsetzt. Ich weiß, was ich tue, ich habe meinen Job gelernt und mache den gern und gut.
Frage an die Fachfrau: Wo sind die Grenzen der Selbsthilfe? Wovon sollte man die Finger lassen?
Ich bekomme in letzter Zeit öfter Panikanrufe von Kunden, die sagen: Oh Gott, was soll ich machen? Ich antworte ihnen: Keine Schere! Keine Farbe! Wir werden uns wiedersehen. Und bis dahin kauf dir einen schönen Lippenstift, ein schickes Tuch oder eine Mütze.
Eine schwierige Frage: Wird ihr Studio Corona überleben?
Ich weiß es nicht. Kommt darauf an, wann ich die Zuschüsse bekomme. Ich habe mir selbst versprochen, nicht unvernünftig zu werden. Andere nehmen privat Kredite auf, um auf die Überbrückung zu warten und um später die Überbrückungshilfe abzahlen zu können. Ich fürchte, dass die Steuern den kleinen und mittelständischen Betrieben das Genick brechen werden, wenn die Hilfen nicht rechtzeitig kommen und auch die Ausfälle nicht bezahlt werden. So kommt die Verschuldung dazu. Das schafft kein seriöses Unternehmen, selbst wenn es gut wirtschaftet.
Frau Zeitler, was lehrt uns Corona?
Corona geht an die Substanz. Die Unwuchten innerhalb unserer Gesellschaft treten nun überdeutlich zutage. Und es macht die Schwächen politischen Handelns deutlich. Wie kann es sein, dass das halbe Jahr zwischen den Lockdowns nicht genutzt wurde, um ein handhabbares Hilfesystem für einen relevanten Teil der Gesellschaft aufzubauen. Wir alle sind dieses Land. Und ich finde, es ist Zeit, laut einzufordern, dass die Politiker hier endlich ihren Job machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?