Frisörsalons im Lockdown: Locke up, Locke down
Frisörsalons auf oder zu? Das scheint momentan große Teile der Bevölkerung umzutreiben. Alles nur eine Frage der Eitelkeit?
Nicht in den Spiegel zu schauen, ist dieser Tage leider keine Lösung. Denn die zahlreichen Online-Konferenzen, zu denen uns die Pandemie nun zwingt, halten es uns via Monitor unerbittlich vor Augen: Auch die Frisörsalons sind im Lockdown. Je nach Grad der Eitelkeit und des Humors ist der eigene Anblick sowie der der Muppethorde vor uns Grund zur Verzweiflung oder Heiterkeit.
Die darbenden Frisöre selbst haben da ganz andere Probleme. In Mainz oder Jena demonstrierten sie am Mittwoch für die rasche Wiedereröffnung. „Als Zeichen der Trauer“ erschienen sie ganz in Schwarz, praktisch, da Frisörinnen meiner Wahrnehmung nach ohnehin gern schwarz tragen.
An diesem zeitlosen Chic könnte sich Claus-Dietrich Lahrs, Chef des Modelabels s.Oliver, mal ein Beispiel nehmen. Die bereits ausgelieferte Frühjahrskollektion könne er im März nicht mehr anbieten, weint das Luxusbienchen – da geht es ihm wie den Brauern, die bis zum Frühling Hunderttausende Hektoliter Bier vernichten müssen. Er hält die Schließung seiner Geschäfte für eine „willkürliche Entscheidung“, solange Lebensmittelläden geöffnet haben.
Erst wenn die Menschen auch nichts mehr zu essen kaufen können, ist für ihn so etwas wie Gerechtigkeit hergestellt. Vielleicht steckt auch die vage Hoffnung dahinter, dass Hungernde nach dem Lockdown alle kleinere Kleidergrößen brauchen – ein Bombengeschäft für den Klamottenzar.
Jeder Zentimeter ein klares Statement
Doch zurück zum Frisörhandwerk, denn das ist kulturgeschichtlich und emotional für uns von weitaus größerer Bedeutung. Wer als Junge in den 1970er Jahren groß geworden ist, der weiß zum Beispiel, welch ein Kampf dahinter steckte, die Hoheit über den eigenen Kopfbewuchs gegen die Altvorderen durchzusetzen. In der Öffentlichkeit spielten langhaarige Hippies und „Gammler“ als Inkarnationen des Linksextremismus eine große Rolle. Auch die an jedem Dorfbahnhof hängenden Fahndungsplakate der RAF (für uns Kinder durchaus heimlich unheimliche Helden) sprachen frisurentechnisch eine klare Sprache, und somit war zu Hause das Politische privat und das Private politisch: Jeder Zentimeter länger als erwünscht war hier ein klares Statement. Mit Schmeicheleien, Schlägen und Drohungen wurde der Knirps zum Frisör genötigt.
Und auch hier und heute ist die allgemeine Erregung groß. Jede und jeder hat unbedingt eine dezidierte Meinung dazu, ob Frisörsalons ganz, halb oder gar nicht systemrelevant sind und entsprechend vordringlich geöffnet werden oder eben einfach mal verrecken sollen: „Meine Freundin schneidet mir die Haare“, „Ich hab ’ne Glatze“, „Mir ist egal, wie ich aussehe“, „Ich habe bei Amazon eine Schermaschine bestellt“, „Im Jemen ist Krieg“ lauten nur einige der beliebtesten Totschlagargumente. Und für den Jungen aus den Seventies hielte das haltlose Wachstum womöglich sogar einen kathartischen Effekt und eine Befreiung aus dem kindlichen Frisörtrauma bereit, wäre er jetzt nicht Mitte fünfzig und würde ungestutzt aussehen wie ein von einem Schmutzgeier ausgekotztes Aasgewölle.
Das Thema hat sogar echtes Skandalpotenzial. Profifußballspieler stehen in dem Ruch, sich in klandestinen Friseursalons den aktuell coolsten Cut verpassen zu lassen, mit dem sie dann ja für jeden offensichtlich auf dem Fernsehschirm erscheinen. Und auch die Redaktion des Düsseldorfer Handelsblatts scheint vor dieser Versuchung nicht gefeit zu sein. „Von irgendetwas muss man ja leben“, winkt die sonst so gestrenge Wirtschaftszeitung augenzwinkernd mit dem Zaunpfahl. Da scheint doch tatsächlich die Akzeptanz von Schwarzarbeit für Frisörinnen durch. Schwarz angezogen sind sie immerhin schon.
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