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Friedrichstraße nicht mehr autofreiGefährliche Kurzschluss­reaktion

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Berlins neue CDU-Verkehrssenatorin hebt die Sperrung auf der Einkaufsstraße auf. Überraschend kommt das nicht; falsch ist es trotzdem.

Kommen wieder weg: Durchfahrt-Verboten-Schilder an der Friedrichstraße Foto: dpa

I n diesen Tagen regiert die Symbolpolitik: Im Bund gefällt sich die FDP dabei, vor allem die Grünen und ihr Gebäudeenergiegesetz zu blockieren, allein aus der Hoffnung, damit Punkte bei Wäh­le­r*in­nen zu machen. In Berlin beeilt sich die neue schwarz-rote Koalition, progressive Maßnahmen von Rot-Grün-Rot zu kassieren, ebenfalls um parteipolitische Akzente zu setzen. So ist es keine Überraschung, dass CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner wie am Dienstag verkündet auf der Friedrichstraße ab Juli wieder durchgehend Autoverkehr erlaubt.

Ihre grüne Vorgängerin und Spitzenkandidatin der Wiederholungswahl, Bettina Jarasch, hatte erst Ende Januar, zum Höhepunkt des Wahlkampfs, die Sperrung angeordnet. Sie wollte damit Fehler eines ersten Versuchs, dort eine Fußgängerzone einzurichten, korrigieren. Aber es war natürlich auch ein wichtiges Signal an die eigene Klientel, der die Verkehrswende zu langsam vorankam. Schon Jarasch wurde daher vorgeworfen, „Kulturkampf“ zu betreiben. Auch Schreiner bekommt diesen Vorwurf nun zu hören.

Inhaltlich ließe sich der Schritt der neuen Senatorin vielleicht noch nachvollziehen: Höchstens ganz langsam entwickelt die teure Einkaufsstraße so etwas wie Flaneurflair; unklar ist zudem, wie umliegende Straßen bis zum Gendarmenmarkt in die Umgestaltung eingebunden werden sollen.

Dennoch ist die Aufhebung des Verbots eine Kurzschlussreaktion, die der Politik insgesamt schadet – womit Schreiners Gebaren dem der FDP auf Bundesebene erschreckend ähnelt. Denn beide sind sich natürlich bewusst, dass angesichts der Klimakrise weitreichende Veränderungen notwendig sind, und zwar möglichst schnell. Den Menschen zu suggerieren, mit konservativem Aktivismus solche Veränderungen vermeiden zu können, ist schlicht unverantwortlich.

Am Ende bleibt bei vielen Menschen vor allem der Eindruck, die Politik sei handlungsunfähig

Natürlich ist der Beitrag der auf 500 Meter autobefreiten Friedrichstraße für den Klimaschutz und die Verkehrswende de facto überschaubar. Aber der symbolische Wert von Schreiners U-Turn wiegt angesichts der Vorgeschichte umso höher. Zumal am Ende bei vielen Berliner*innen, die nicht jede Irrung und Wirrung der Landespolitik verfolgen, allein der Eindruck hängen bleibt, dass die Politik offenbar handlungs- weil entscheidungsunfähig ist. Gerade auf Letzteres kommt es aber in der Klimapolitik an. Und so könnte die Friedrichstraße am Ende vor allem dafür stehen, dass die Menschheit aus kleinkarierten Motiven den Kampf gegen den Klimawandel nicht engagiert genug angegangen ist.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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8 Kommentare

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  • Es muss endlich Schluss sein mit Symbolpolitik und zwar von beiden Seiten, was ich erwarte sind zukunftsfähige rechtsstaatliche Lösungen. Mir kommt das langsam vor, als suchten sich alle Beschäftigungen nach dem Motto sehen wir mal , ob was bringt , wenn nicht Pech gehabt.

  • Was ist denn jetzt der Unterschied zwischen "parteipolitische Akzente ... setzen" und "einem wichtige(n) Signal an die eigene Klientel" ?

    Man wirft der CDU vor, das zu machen, was die Grünen am allerliebsten tun - Zeichen setzen durch Symbolpolitik?

    Verstehe ich nicht.

  • 6G
    658767 (Profil gelöscht)

    Dieser Teil der Friedrichstraße hängt allein vom Wohl und Wehe des Ankermieters Galeries Lafayette ab, die seit 10 Jahren chronisch defizitär ist. Einen Flanierboulevard davon abhängig zu machen ist doch ziemlich gaga.

  • Der Autor übersieht, dass es das vom Gericht geforderte Konzept immer noch nicht gibt und die Sperrung noch immer rechtswidrig ist.

    Für den Senat wäre es daher am einfachsten, wenn das Verwaltungsgericht dies im Rahmen eines neuen Eilverfahrens unlängst abgeurteilt hätte. Dann hätte man das Debakel der alten Senatorin in die Schuhe schieben können.

    Jetzt muss die neue Verkehrssenatorin im Rahmen der Widerspruchsverfahren entscheiden und kann daher gar nicht anders, als die bestehende Rechtswidrigkeit anzuerkennen. Andernfalls wäre sie für das absehbare Debakel verantwortlich.

    Der Fehler des erten Versuchs ist damit auch der Fehler des zweiten Versuchs. Dies hätte der Autor nach einer ordentliche Recherche erkennen müssen und wäre dann im Ergebnis zu einem anderen Ergebnis gelangt.

    Eine Kurzschlussreaktion lag allenfalls bei der alten Verkehrssenatorin vor, als diese ohne das erforderliche Konzept die Sperrung angeordnet hat. Die gerade gepflanzten Bäume kommen also wieder weg. Wahnsinn.

    • @DiMa:

      Stimmt so nicht. Der erste - temporäre - Versuche wurde als rechtsunsicher bewertet. Die spätere "Teileinziehung" wurde ganz regulär durchgeführt und ist rechtlich in keiner Weise fraglich. Ohnehin scheint bizarr, warum es in Deutschland verboten sein sollte, den Autos Fahrwege wegzunehmen.

      • @Achim Kniefel:

        Die Verfahren mögen unterschiedlicher Natur sein, ungeachtet dessen braucht es in beiden Fällen die Vorlage eines Konzeptes zur Begründung. Dieses liegt nicht vor, damit ist die Teilentziehung stand heute rechtswidrig. Die Behörde hätte die Rechtswidrigkeit heilen können durch Vorlage eines Konzeptes bis zum Ende der mündlichen Verhandlung. Nur das wäre halt nicht im Eilverfahren gekommen. Das letzte Urteil war in diesem Punkt eindeutig.

  • Dieser unwirtliche, dunkle Canyon ohne interessante Geschäfte und mit toten Seitenstraßen, der zum touristischen Heckmeck des Checkpoint Charlie führt und am langweilig-hässlichen Mehringplatz endet, wird nie zu einer Flaniermeile. Es ist im Gegenteil schon unverständlich, warum da irgendwer mit dem Auto hinwill, geschweige denn, zu Fuß. Eine Prachtstraße oder Einkaufsmeile oder sonstwas von echter Bedeutung für Berlin war die Friedrichstraße wahrscheinlich irgendwann um 1940. Die Sperrung ist genauso sinnlos wie der seit Jahrzehnten laufende, krampfhafte Versuch, da wieder irgendeine Art von Vorkriegsgloria zu etablieren.

    Gebt das Ding einfach auf, bzw. ignoriert es und investiert Energie und Geld lieber in Straßen und Gegenden, die für Berliner und für Besucher wirklich von Bedeutung sind bzw. die echtes Potenzial haben.

    • @Suryo:

      Übertreibs mal nicht. Die Friedrichstraße ist voll ok, es gibt wirklich hässlichere Straßen in Berlin. Und mit den vielen Menschen in der Mittagszeit wirkte sie sehr gemütlich in den letzten Wochen.