Friedrichshain-Kreuzberg: Piraten hoffen auf Hare-Niemeyer
Die Piratenpartei könnte doch noch einen Stadtrat stellen - wenn die BVV den Verteilungsmodus ändert. Gerüchte, wonach SPDler übertreten wollen, dementieren die Sozialdemokraten.
Die Piraten in Friedrichshain-Kreuzberg könnten doch noch zu einem Stadtratsposten kommen. Die Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) diskutieren darüber, ob das Verfahren für die Verteilung der Stadtratsposten geändert werden kann. "Das derzeitige Verfahren bringt extreme Verzerrungen, wenn große Fraktionen auf kleine treffen", kritisiert Ralf Gerlich, Bezirksverordneter der Piraten.
Nach dem derzeit gültigen dhondtschen Verfahren gehen drei Posten an die Grünen und jeweils einer an SPD und Linkspartei. Würde man stattdessen das Hare-Niemeyer-Verfahren anwenden, bekämen die Grünen nur noch zwei Posten, SPD, Linke und Piratenpartei jeweils einen. "In diesem Fall würde das Hare-Niemeyer-Verfahren die Stärken im Bezirk besser abbilden", findet Gerlich.
Die Grünen haben grundsätzlich Verständnis für den Vorschlag: "Ich finde die Idee nachvollziehbar, das Verfahren zu ändern", sagt Florian Schärdel von den Grünen. "Das dHondt-System ist dafür bekannt, dass es die großen Parteien bevorteilt, in diesem Fall die Grünen. Derzeit kriegen wir mehr, als uns prozentual zustehen würde." Allerdings zweifle er daran, dass das Hare-Niemeyer-Verfahren die Kräfteverhältnisse besser abbilden würde. "Das würde wiederum zu einer Bevorteilung der Piraten führen."
Umstritten ist auch, ob der Bezirk das Verteilungsverfahren überhaupt selbst ändern darf. In der Berliner Verfassung und im Bezirksverwaltungsgesetz, wo es geregelt ist, steht: "Das Bezirksamt soll auf Grund der Wahlvorschläge der Fraktionen entsprechend ihrem nach dem Höchstzahlverfahren (dHondt) berechneten Stärkeverhältnis in der Bezirksverordnetenversammlung gebildet werden." Ob dieses "soll" ein "muss" bedeutet oder die Bezirke selbst entscheiden dürfen, ein anderes Verfahren anzuwenden, müsste im Zweifelsfall ein Gericht entscheiden. Linkspartei und Piraten wollen zunächst im Geschäftsordnungsausschuss prüfen, ob das Verfahren geändert werden kann.
Sollten sich die Fraktionen letztlich für eine Änderung aussprechen, wäre das ein Novum. "Wir wären der erste und einzige Bezirk, der das durchbricht", sagt der SPD-Kreisvorsitzende Jan Stöß. Die SPD habe sich noch nicht entschieden, ob sie für oder gegen eine Änderung sei.
Unterdessen dementiert Stöß Berichte, nachdem sich drei Verordnete der SPD überlegten, zur Piratenpartei zu wechseln: "Das ist völliger Quatsch." Es gebe lediglich Verordnete, die Wert auf eine gute Einbindung der Piraten in die Bezirkspolitik legten.
Die Piratenfraktion musste auf den ihr zustehenden Stadtratsposten verzichten, weil sie nicht alle in der BVV errungenen Sitze besetzen kann. Drei Piraten hatten gleichzeitig für die BVV Friedrichshain-Kreuzberg und das Abgeordnetenhaus kandidiert - und sich nach der Wahl entschlossen, ihren Sitz im Landesparlament anzunehmen. Mandate in beiden Vertretungen wahrzunehmen ist nicht erlaubt. Der Stadtratsposten geht nun an die Linkspartei, die mit den Piraten bereits Gespräche darüber führt, wie ihr Stadtrat auch Interessen der Piratenpartei mit vertreten kann. "Die Gespräche mit der Linkspartei sind recht weit fortgeschritten", sagt Gerlich.
Bei den Piraten klingt es ohnehin nicht, als sei man von Übertritten grundsätzlich begeistert. "Wir würden wahrscheinlich erst mal eine Basisbefragung vornehmen, ob wir überhaupt jeden in die Fraktion aufnehmen", sagt Gerlich. Übertritte, bei denen es nur um parteitaktische und nicht um inhaltliche Fragen gehe, sehe man kritisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland