Friedhöfe als Grünfläche: Kartoffeln vom Gottesacker

In Berlin werden immer weniger Friedhofsflächen für Bestattungen benötigt. Als Parks oder Gemüsegärten finden sie neues Leben.

Hütte mit Schild "Prinzessinnengärten" auf Friedhof

Gärtnern, wo andere gedenken: auf dem Neuen St. Jacobi Friedhof in Neukölln Foto: picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

BERLIN taz | Die Toten brauchen weniger Platz: In Berlin werden 290 Hektar Friedhofsfläche nicht mehr für Bestattungen benötigt. Rund 210 Hektar sind davon laut dem Friedhofsentwicklungsplan des Landes für eine Nachnutzung als Grünflächen vorgesehen– eine Fläche so groß wie der Tiergarten.

Für die restlichen 80 Hektar ist eine sonstige, nicht-grüne Folgenutzung vorgesehen. Das kann auch die Bebauung der Flächen mit Wohnhäusern sein. Ein Rechtsanspruch auf Bebauung bestehe aber nicht, stellt die Senatsverwaltung für Umwelt und Klimaschutz klar.

Der Grund für den stark gesunkenen Flächenbedarf liegt vor allem in der sich verändernden Bestattungskultur: Beerdigungen sind individueller geworden, die Menschen lassen sich in Friedwäldern oder auf See beisetzen. Und die immer beliebter werdende Urne braucht viel weniger Platz als ein Sarg.

Sylvia Butenschön von der TU Berlin beschreibt, wie wichtig es ist, Friedhöfe als Grünflächen zu erhalten und nicht angesichts der Berliner Wohnungsnot in Bauland umzuwidmen. Gerade in großen Städten seien Friedhöfe Orte der Ruhe, Erholung und Naturerfahrung, in heißen Sommern könnten sie Abkühlung für Stadt und Mensch bringen. Außerdem seien sie als Hotspots der Artenvielfalt erhaltenswert.

Das bestätigt auch Janna Einöder, Referentin für Stadtgrün beim Berliner Landesverband des Naturschutzbunds Nabu. Auf Friedhöfen gebe es etliche Nischen, die für Artenvielfalt sorgten. „Zum Beispiel finden Fledermäuse in Mausoleen ein Sommerquartier, magere, nährstoffarme Wiesen stehen neben riesigen Efeu-Pflanzen und Altbäumen“, sagt sie zur taz.

Da Friedhöfe besonders ruhige und störungsarme Orte sind, fänden sich hier auch scheuere Arten wie die Waldohreule und der Grauschnäpper. Es gebe aber auch spannende Pflanzen wie die Osterluzei, die früher als Heilpflanze verwendet wurde und heute auf der Vorwarnstufe der Roten Liste Deutschland steht. Aufgrund von Platzmangel wurden solche Arzneipflanzen früher auf Gräbern angepflanzt und wachsen heute noch immer auf Friedhöfen.

Sowohl Einöder als auch Butenschön betonen den kulturhistorischen Wert von Friedhöfen. „Innerstädtische Friedhöfe sind mit die ältesten Parkanlagen der Stadt und haben dadurch auch einen hohen kulturellen und historischen Wert“, sagt Einöder.

Den Geist des Ortes erhalten

Butenschön fordert, dass der „Geist des Ortes“ bei der Umgestaltung erhalten werden soll. Dafür solle jeder Friedhof hinsichtlich seiner Besonderheiten und Qualitäten, wie der Gräberstruktur und der spezifischen Tier- und Pflanzenwelt untersucht werden, bevor er umgestaltet wird.

Den Leise-Park in Prenzlauer Berg, ehemals der Friedhof St. Marien – St. Nicolai, nennt Butenschön als gelungenes Beispiel: „Hier sind Grabsteine und Vegetationsbestände ehemaliger Gräber erhalten geblieben und erinnern an die vormalige Nutzung.“ Durch die umgebenden Mauern habe der Friedhof auch seine Ruhe bewahrt: „Man betritt eine andere Welt, einen speziellen Ort der ruhigen Erholung.“

Andere Friedhofsflächen werden heute für Gemüseanbau genutzt, so dier Prinzessinengarten in Neukölln und das Elisabeet in Mitte. Im Prinzessinengarten werden Gemüse, Kräuter und essbare Blüten auf ehemaligen Gräbern angebaut, darunter Kartoffeln, Bohnen, Salbei und Ringelblumen, so Hanna Burckhardt zur taz. Sie ist Co-Geschäftsführerin der Nomadisch Grün gGmbH, zu der das Prinzessinengarten Kollektiv gehört.

Auf dem Neuen St. Jacobi Friedhof, wo sich der Prinzessinengarten befindet, finden seit 2019 keine Beisetzungen mehr statt. Grabstellen gibt es natürlich noch, teilweise werden sie von Angehörigen besucht.

Unterstützung bei der Grabpflege

Mit dem Prinzessinengarten sollte ein niedrigschwelliges Bildungs- und Teilhabeangebot durch den Anbau von Nutzpflanzen geschaffen werden, sagt Burckhardt. Das Interesse, in dem Projekt mitzugärtnern, sei von Anfang an groß gewesen. Wöchentlich ackern 20 bis 50 Menschen bei den Arbeitseinsätzen.

Und auch von den Grabbesuchenden gebe es positive Rückmeldungen: „Durch uns sind stets Ansprechpersonen vor Ort, die zum Beispiel bei der Bewässerung und Pflege von Grabstellen unterstützen können“, sagt Burckhardt.

Auch Sylvia Butenschön gefällt die gärtnerische Nutzung von Friedhöfen: „Ich sehe durchaus die Nachfrage nach Fläche, auf der man im Innenstadtbereich Obst und Gemüse anbauen kann.“ Sie empfindet die gärtnerische Nutzung auch nicht als pietätlos oder gar unhygienisch – Tomaten, Salat oder Bohnen wurzelten ohnehin nicht so tief, als dass sie in Kontakt mit den Überresten von Bestatteten kommen könnten. „Und dass auf einem Friedhof etwas wächst, was Früchte trägt, ist für mich eine sehr passende Symbolik.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.