piwik no script img

„Friedensplan“ für die UkraineDas käme einer Kapitulation gleich

Kommentar von

Barbara Oertel

USA und Russland verhandeln über die Ukraine. Was genau, bleibt unklar. Nur so viel: Moskau könnte seine Maximalforderungen durchsetzen.

Die Ukraine braucht Waffen wie diese Kampfjets, hier bei einem Besuch von Präsident Selenskyj in Frankreich am 17. November Foto: Christophe Ena/ap

E r brauche kein Taxi, sondern Munition, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kurz nach dem Beginn von Russlands vollumfänglicher Invasion in die Ukraine am 24. Februar 2022. Er stellte klar, dass er nicht vorhabe, sein Land im Stich zu lassen.

Munition und Waffen braucht der Mann immer noch und vielleicht auch bald eine Mitfahrgelegenheit außer Landes. Denn Selenskyj ist, um es freundlich zu formulieren, angezählt. Ein Korruptionsskandal hat die Ukraine in eine tiefe innenpolitische Krise gestürzt. Personen aus dem direkten Umfeld Selenskyjs sollen involviert sein. Anzunehmen, dem Präsidenten könnten diese Machenschaften verborgen geblieben sein, ist absurd.

Als wäre das nicht schon Herausforderung genug, läuft es für Kyjiw militärisch zusehends schlechter. Für die ausgelaugten Truppen wird es immer schwieriger, die Front im Osten des Landes zu halten. Der Fall der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk im Donbass ist nur noch eine Frage der Zeit. Sogar Selenskyj betonte unlängst, niemand zwinge Soldaten wegen Ruinen zu sterben. Die Gefahr für die Ukrainer*innen, durch fortdauernde russische Angriffe auf die kritische Infrastruktur im bevorstehenden Winter den Kältetod zu sterben, wächst von Tag zu Tag.

Just zu diesem Zeitpunkt tritt Washington wieder auf den Plan – in gewohnt erratischer Manier. Während die Republikaner ein Gesetz vorantreiben, um Staaten, die von Russland Öl und Gas beziehen, zu sanktionieren, taucht plötzlich ein ominöser „Friedensplan“ auf. Den sollen angeblich Amerikaner und Russen ausgedealt haben.

Zeitpunkt kein Zufall

Was er genau enthält, ist noch unklar, nur so viel: Sollte sich Kyjiw darauf einlassen (müssen), käme das einer Kapitulation gleich, Moskau hätte seine Maximalforderungen durchgesetzt. Dass diese Initiative gerade jetzt kommt, ist kein Zufall. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass die Ukraine jetzt auch noch mit diplomatischen Mitteln sturmreif geschossen werden soll.

Was das für die Ukraine bedeutete, und vielleicht nicht nur für sie, ist absehbar. Doch mahnende Stimmen scheinen immer noch nicht durchzudringen. Täten sie das, würden die europäischen Verbündeten Kyjiws endlich entschlossen agieren: Etwa mit Waffenlieferungen, die die Ukraine in eine gute Verhandlungsposition bringen. Stattdessen lecken sie ihre Wunden, weil es nicht einmal für einen Platz am Katzentisch der Verhandlungen reicht, und sie laufen Gefahr, das Momentum endgültig zu verpassen.

An dieser Stelle lohnt ein Blick auf die ukrainische Zivilgesellschaft – ein Beispiel für Resilienz und das Bemühen, auch in Kriegszeiten für demokratische Werte einzustehen, Werte, die in Europa so manche/r gerne im Munde führt. Vielleicht wäre es da besser zu schweigen – ein zwar beschämendes Statement, aber zumindest ein ehrliches.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Ob so ein Plan für die Ukraine akzeptabel ist, muss diese schlussendlich selber entscheiden.



    Mögllicherweise ist er aber momentan die am wenigsten schlechte Option für Selensky, in Anbetracht der Gesamtlage.



    Rückeroberungen im grösseren Umfang scheinen nicht realistsich - unabhängig davon ob jetzt etwas mehr Waffen geliefert würden.

  • Ich weiß nicht, ob es schon aufgefallen ist, der Ukraine gehen die Soldaten aus. Waffen sind wichtig, aber genauso wichtig sind die, die die bedienen. Wie soll dieses Problem gelöst werden?



    Vorschlag, wie einst in Spanien, Internationale Brigaden?