„Friedensplan“ für die Ukraine: Das käme einer Kapitulation gleich
USA und Russland verhandeln über die Ukraine. Was genau, bleibt unklar. Nur so viel: Moskau könnte seine Maximalforderungen durchsetzen.
E r brauche kein Taxi, sondern Munition, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kurz nach dem Beginn von Russlands vollumfänglicher Invasion in die Ukraine am 24. Februar 2022. Er stellte klar, dass er nicht vorhabe, sein Land im Stich zu lassen.
Munition und Waffen braucht der Mann immer noch und vielleicht auch bald eine Mitfahrgelegenheit außer Landes. Denn Selenskyj ist, um es freundlich zu formulieren, angezählt. Ein Korruptionsskandal hat die Ukraine in eine tiefe innenpolitische Krise gestürzt. Personen aus dem direkten Umfeld Selenskyjs sollen involviert sein. Anzunehmen, dem Präsidenten könnten diese Machenschaften verborgen geblieben sein, ist absurd.
Als wäre das nicht schon Herausforderung genug, läuft es für Kyjiw militärisch zusehends schlechter. Für die ausgelaugten Truppen wird es immer schwieriger, die Front im Osten des Landes zu halten. Der Fall der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk im Donbass ist nur noch eine Frage der Zeit. Sogar Selenskyj betonte unlängst, niemand zwinge Soldaten wegen Ruinen zu sterben. Die Gefahr für die Ukrainer*innen, durch fortdauernde russische Angriffe auf die kritische Infrastruktur im bevorstehenden Winter den Kältetod zu sterben, wächst von Tag zu Tag.
Just zu diesem Zeitpunkt tritt Washington wieder auf den Plan – in gewohnt erratischer Manier. Während die Republikaner ein Gesetz vorantreiben, um Staaten, die von Russland Öl und Gas beziehen, zu sanktionieren, taucht plötzlich ein ominöser „Friedensplan“ auf. Den sollen angeblich Amerikaner und Russen ausgedealt haben.
Zeitpunkt kein Zufall
Was er genau enthält, ist noch unklar, nur so viel: Sollte sich Kyjiw darauf einlassen (müssen), käme das einer Kapitulation gleich, Moskau hätte seine Maximalforderungen durchgesetzt. Dass diese Initiative gerade jetzt kommt, ist kein Zufall. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass die Ukraine jetzt auch noch mit diplomatischen Mitteln sturmreif geschossen werden soll.
Was das für die Ukraine bedeutete, und vielleicht nicht nur für sie, ist absehbar. Doch mahnende Stimmen scheinen immer noch nicht durchzudringen. Täten sie das, würden die europäischen Verbündeten Kyjiws endlich entschlossen agieren: Etwa mit Waffenlieferungen, die die Ukraine in eine gute Verhandlungsposition bringen. Stattdessen lecken sie ihre Wunden, weil es nicht einmal für einen Platz am Katzentisch der Verhandlungen reicht, und sie laufen Gefahr, das Momentum endgültig zu verpassen.
An dieser Stelle lohnt ein Blick auf die ukrainische Zivilgesellschaft – ein Beispiel für Resilienz und das Bemühen, auch in Kriegszeiten für demokratische Werte einzustehen, Werte, die in Europa so manche/r gerne im Munde führt. Vielleicht wäre es da besser zu schweigen – ein zwar beschämendes Statement, aber zumindest ein ehrliches.
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