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■ Friedensmission: Nun ist darauf hinzuarbeiten, daß nicht unter der Hand die angemaßte Ausnahme der Nothilfe zum Regelfall wirdStaatskunst und Kriegshandwerk

Die glücklich verlaufene Friedensmission des finnischen Präsidenten Martti Ahisaari in Belgrad hat den Befürwortern wie den Kritikern der NATO-Kriegsführung gleichermaßen einen Alp von der Seele genommen. Die Anhänger des Luftkriegs befreite sie von dem Zwiespalt, entweder die Bombardements unbegrenzt fortzusetzen oder – gegen den Willen der eigenen Bevölkerungen – zum Landkrieg überzugehen. Die Kritiker aber sehen mit der Annahme des Friedensplans durch das Belgrader Parlament die Möglichkeit eröffnet, auf die Hauptstraße – Friedenspolitik nach der Richtschnur der UNO-Charta – zurückzukehren.

Lassen wir die Frage für einen Augenblick unerörtert, was den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic schließlich zur Annahme des Friedenspapiers veranlasste. Stellen wir einfach fest: endlich kann wieder mit dem Handwerkszeug der Politiker gearbeitet werden, hat der alltägliche, geradezu obszöne Gebrauch der Menschenrechtsphraseologie zur Rechtfertigung des Luftkriegs ein Ende. Zwei Monate waren wir diesem Trommelfeuer ausgesetzt, zwei Monate wurde uns suggeriert, der Bombenkrieg sei ein unabweisbares Gebot der Mitmenschlichkeit gegenüber der gequälten albanischen Bevölkerung und wer dies nicht einsehe, wer hiergegen aus Gründen der praktischen Vernunft opponiere, der sei letztlich jedes Mitgefühls bar. Deutsche Politiker unterbreiteten Lageberichte über den Stand ihrer Seelenqual, statt uns über politische Alternativen aufzuklären. Was auch bedeutet hätte, das Dilemma ehrlich zu benennen, das sich zwischen einer NATO-Nothilfe für die Albaner und der tatsächlichen, dramatischen Verschlechterung ihrer Lage durch eben diese Hilfe ergab.

Am schwersten zu ertragen war die Laxheit, mit der über Kriegsziele schwadroniert wurde. Galt noch die Zielsetzung des Ramboulliet-Abkommens, oder wurde unter der Hand der Sturz des Milosevic-Regimes mit den Mitteln einer militärischen Intervention vorbereitet? War Milosevic noch Verhandlungspartner oder sollte der endgültige Frieden mit einer serbischen Equipe vereinbart werden, an der kein oder doch weniger Blut klebte? Auch hier hat Athisaaris Mission Klarheit erbracht. Das vom serbischen Parlament ratifizierte Abkommen umschreibt die im Ramboulliet-Abkommen festgelegten Bedingungen. Einschließlich der Errichtung einer albanischen, autonomen Teilrepublik innerhalb des jugoslawischen Staatsverbandes, einschließlich der Entwaffnung der UCK und einschließlich der Rückkehr der Flüchtlinge unter dem Schutz einer UNO-Besatzungstruppe.

So sehr diese Verdunklungsmanöver der letzten zwei Monate, so sehr die Requirierung moralischer Grundsätze zu Zwecken der politischen Propaganda anzuprangern bleiben, so sehr gilt es doch auch festzuhalten, daß der auf dem G-8-Gipfel beschlossene Lösungsweg die Voraussetzung für Athaasaris und Tschernomyrdins erfolgreiche Mission bildeten. Waren die G-8-Beschlüsse organischer Bestandteil einer Doppelstrategie von „Kriegführen und Verhandeln“ oder waren sie der westlichen Vormacht abgetrotzte Wegzeichen, die der Rückkehr zu Verhandlungen die Richtung weisen sollten? Über diese grundlegend wichtige Frage, die letztlich wenn nicht über die Legalität so doch über die Legitimität des Luftkriegs entscheidet, wird weiter zu streiten sein. Jetzt aber kommt es darauf an, das Bewegungsmoment zu nutzen und möglichst viele Pflöcke für eine künftige Politik einzurammen, die dem selbstgesteckten Ziel einer humanitär orientierten Außenpolitik wirklich gerecht wird.

Dazu gehört als erstes und wichtigstes Ziel, tatsächlich die Bedingungen für die Rückkehr der kosovarischen Flüchtlinge und für den Schutz der serbischen Minderheit im Kosovo zu schaffen. Die Erfahrung Bosnien-Hercegowinas lehrt, daß eine solche Politik unter extremem Zeitdruck steht, daß phantasievolle, mit reichen Geldmitteln ausgestattete Administratoren und eine entschlossene Streitmacht in Aktion treten müssen. So klar es ist, daß das Dayton-Abkommen nur unter amerikanischer Federführung zustande kam und die wenigen Schritte seiner Verwirklichung wesentlich von den USA abhingen und abhängen, so klar ist auch, daß das jetzige Abkommen eine einheitliche, gezielte Intervention der EU und die umfassende Mitarbeit Rußlands voraussetzen. Wir wissen, daß amerikanische Truppen sich überaus schwer tun, unter fremdem Oberkommando zu kämpfen. Aber wäre es politisch nicht ratsam, die Leitung der UNO-Schutztruppe einem General diesseits des Atlantik zu übertragen? Wenn die politische Erklärung Ernst gemeint ist, eine albanische Autonomie aufzubauen, dann ist für sie die Zustimmung der albanischen wie der serbischen Bevölkerung vonnöten. Oder existiert doch der geheime Vorbehalt, nach einer Übergangszeit den Kosovo vom jugoslawischen Staatsverband abzutrennen? Dann freilich wäre der Keim für einen weiteren Krieg „ implementiert“.

Zum zweiten gilt es, darauf hinzuarbeiten, daß die in Abschnitt VII der UNO-Charta genannten Voraussetzungen für eine völkerrechtlich abgesicherte Kriegsführung in Wort und Tat bekräftigt werden, daß mithin nicht unter der Hand die (angemaßte) Ausnahme der Nothilfe zum Regelfall wird. Die rot-grüne Koalition hat ihre Arbeit unter dem Versprechen aufgenommen, die UNO-Institutionen zu stärken, der internationalen Krisenprophylaxe Aufmerksamkeit und Geld zuzuwenden. Falls sich die jüngsten Beschlüsse für eine EU-Streitmacht dieser Zielsetzung einordnen, wären sie zu begrüßen. Falls hingegen seitens der NATO oder seitens einer neuen EU-Streitmacht mit dem Gedanken gespielt wird, mögliche Interventionen von der Zustimmung des UNO-Sicherheitsrats abzuhängen, wäre damit ein verhängnisvoller Weg beschritten. Gerade die Weiterentwicklung des Völkerrechts einschließlich humanitär bestimmter militärischer Interventionen seit 1989 setzt zwingend den Rahmen der Weltgemeinschaft voraus. Nur dieser Rahmen bietet die Gewähr, daß Staaten von der vormals geheiligten „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten“ abrükken, das heißt den Vorrang der Menschenrechte vor dem Prinzip der Souveränität akzeptieren. Mit einem Satz: Nichts geht ohne Vertrauen in die universale Geltung humanitären Völkerrechts. Dies zu verneinen, würde nicht nur Staaten sondern auch Staatengruppen zur Wolfsgesellschaft zurückführen. Zum rechtlichen Naturzustand zwischen den Nationen. Alles würde zunichte werden, was seit dem zweiten Weltkrieg an Humanisierung und Zivilisierung der internationalen Beziehungen auf den Weg gebracht worden ist. Christian Semler

Die Laxheit, mit der über Kriegsziele schwadroniert wurde, war schwer zu ertragen

Der Lösungsweg des G-8-Gipfels war Voraussetzung für die erfolgreiche Mission

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