Friedensgespräche in Kolumbien: Nach fast vier Jahren Funkstille
Neue Friedensgespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und der ELN haben begonnen. Seit August hat Kolumbien seinen ersten linken Präsidenten.
Es sei ein historischer Moment für Kolumbien, sagte der Friedensbeauftragte der Regierung, Danilo Rueda. „Wir ehren heute hier das Leben so vieler Menschen, die nicht hier sind, weil die Gewalt sie uns entrissen hat.“ Er versprach, dass alle Rechte der Opfer respektiert werden würden und die Mechanismen zur Teilhabe „vollkommen neu“ sein werden. Die Atmosphäre sei konstruktiv und begeistert gewesen, hieß es aus der Regierungsdelegation später. Man wolle „in vollem politischen und ethischen Willen“ den Dialog wieder aufnehmen, „wie es die Leute in den ländlichen und urbanen Gebieten und andere Teile der Gesellschaft von uns verlangen, die unter der Gewalt und der Ausgrenzung leiden“, betonten beide Delegationen in einer gemeinsamen Erklärung.
Das letzte Treffen zwischen Guerilla-Führung und Regierung fand unter der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos statt, der 2016 das Friedensabkommen mit der Farc-Guerilla in Kuba geschlossen hatte. Sein Nachfolger Iván Duque war ein Kritiker des Abkommens – und kein Freund der begonnenen Gespräche mit der ELN. Als 2019 bei einem Bombenanschlag auf die Polizeischule in Bogotá mehr als 20 Kadetten starben, brach Duque die Gespräche offiziell ab. Die ELN hatte sich zu dem Anschlag bekannt.
Die Verhandlungen mit der größten Guerilla im Land sind ein wichtiger Schritt zu dem „totalen Frieden“, dem Hauptziel der Regierung des neuen Präsidenten Gustavo Petro. Ihre sozialen Reformen lassen sich kaum umsetzen, solange in weiten Teilen des Landes der bewaffnete Konflikt weitergeht. Kolumbien erlebe einen Moment des Wandels, der sich an den Urnen ausgedrückt habe, sagte alias Pablo Beltrán, Anführer der ELN-Delegation. „Dieser Tisch muss ein Instrument des Wandels sein, wir hoffen, dass wir diese Erwartung nicht enttäuschen.“
Erste Friedensgespräche mit einem linken Präsidenten
Es ist der sechste Anlauf für Gespräche – aber zum ersten Mal mit einer linken Regierung, die von den sozialen Bewegungen unterstützt wird. Ein gern genutztes Argument fällt also nun weg für die Guerrilla: Die linken Wähler*innen haben Petro gewählt und damit dem bewaffneten Kampf die Grundlage entzogen. Die ELN hat aus dem Untergrund gegen Ungleichheit und Ausgrenzung gekämpft. Auch können die jetzigen Delegationen an dem Punkt weitermachen, an dem sie in Havanna (Kuba) aufhörten. Das Verhandeln wird aber schwieriger als mit der Farc-Guerilla, stimmen Analystinnen überein. Denn die „Nationale Befreiungsarmee“ ist nicht so hierarchisch organisiert wie die Farc. Politische Machtübernahme ist nicht ihr Ziel – mit Parlamentssitzen kann man sie nicht locken.
Die ELN soll über 2.500 Kämpferinnen verfügen. Sie hat mit anderen Gruppen das Machtvakuum ausgenutzt, das die Farc-Guerilla hinterließ. Berüchtigt ist die Guerilla für Entführungen und Attentate auf Ölpipelines, aber auch Drogenhandel. Unter ihren Kämpfen mit anderen bewaffneten Gruppen leiden besonders die Menschen an der Pazifikküste und in der Grenzregion zu Venezuela. Sie setzen große Hoffnungen in die Gespräche.
Dass sie in Venezuela begonnen haben, ist wichtig – und nur möglich, weil die neue kolumbianische Regierung die diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen hat. Die ELN ist in beiden Ländern aktiv. Ein aktueller Bericht der Vereinten Nationen spricht von Verbindungen zwischen der Guerilla und Nicolas Maduros Regierung. Die streitet dies ab. Weitere Garantieländer sind Kuba und Norwegen; die katholische Kirche und die Vereinten Nationen begleiten die Gespräche als Beobachterinnen.
Die Delegation der Regierung leitet Otto Patiño, Mitgründer der inzwischen aufgelösten Guerilla M-19, der in jungen Jahren der heutige Präsident Petro angehörte. Patiño hat bereits die Friedensgespräche seiner eigenen Guerilla mitgeführt. Die Riesenüberraschung in der sonst progressiven Delegation ist José Félix Lafaurie. Präsident Petro hatte den ultrarechten Chef des Rinderzüchterverbands Fedegan wenige Tage zuvor um seine Teilnahme gebeten – einen seiner erbittertsten Gegner im Wahlkampf und des Friedensabkommens mit der Farc. So ist die Klientel der Großgrundbesitzer mit im Boot.
Ungleiche Landverteilung gilt als Hauptursache des bewaffneten Konflikts in Kolumbien. Die erste Gesprächsrunde soll Mitte Dezember enden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg