Berlinale-Anthropologie
: Friedensarbeit und West-Ost-Kontakte

■ Russen sind keine Barbaren: Was aus der DDR noch Hübsches hätte werden können

Stets – auch zu Zeiten des kältesten Krieges – arbeitete die Berlinale für den Frieden und an der Völkerfreundschaft. Dies Jahr gibt's – der Krieg ist vorbei – bevorzugt Ostasiatisches, wenn ich richtig sehe, Taiwan, Korea, Japan, China. Aus Vorzeiten erinnere ich Indisches, das ich in keinerlei Hinsicht verstand, voller Respekt. Immer arbeitete die Berlinale der Ost-West-Verständigung zu; daß der Russe kein Barbar ist, durfte er hier mit schönen Filmen beweisen, und auch die Filmkunst der DDR wurde warm empfangen, wenn das Verhältnis politisch gerade fröstelte.

„Das war doch immer noch ein Film aus der DDR!“ äußerte der Anthropologe Kuhlbrodt, als wir die Akademie der Künste am Hanseatenweg wieder verließen. Nicht wenig Leute hatten ihn angeschaut; sehr freundlicher, fast begeisterter Beifall hinterher: Andreas Dresen, „Raus aus der Haut“, die poetische Formel aus einem Song der verbotenen Renft- Combo. Ob er die Rolle des Randy absichtlich mit einem Burschen besetzt habe, wurde Andreas Dresen nach der Aufführung gefragt, der Mick Jagger so ähnlich sehe? Der Darsteller des Randy blies vor Überraschung, Begeisterung die mageren Backen auf: Wow! Im nachhinein erweist sich die Renft-Combo der DDR als funktionales Äquivalent der Rolling Stones. Wir Zuschauer in der Akademie der Künste sorgen dafür.

Der große Saal ist kein Kinoraum; hier wird vorzüglich diskutiert oder vorgelesen. Gern hätte ich geschrieben: „Doch wenn es dunkel wird, der Vorhang sich öffnet und die Leinwand freigibt...“ Doch war der Vorhang gar nicht geschlossen; leise gereizt starrte das Publikum wartend die leere weiße Leinwand an, wie sie den Bühnenraum verdeckte, auf der einst angesehene DDR-Schriftsteller mit wohlwollenden BRD-Schriftstellern den schwierigen Stand der Ost- West-Dinge besorgt zu erörtern pflegten – Auld Lang Syne.

1977, in der DDR: Randy, von der Oberschule ebenso wie dem Konservatorium relegiert, Sänger der Gruppe „Feuersbrunst“, schenkt seiner Süßen ein Pressefoto von Ensslin und Baader sowie einen RAF-Spiegel-Titel, denn sie schwärmt für Baader, Ensslin etc. Durch Ungeschick bringt ein Neben-Anbeter der Süßen dies Material dem linientreuen Schuldirektor Rottmann unter die Augen; der diagnostiziert kleinbürgerlichen Anarchismus und verordnet ein Jahr in der Produktion respek

tive die Offizierslaufbahn, woraufhin die Süße und der Anbeter ihn entführen und im Keller von Omas Häuschen gefangen halten, bis die Schulkonferenz über ihre Studienplatzbewerbungen positiv entschieden habe (sie weiß ja nichts von dem RAF-Fan-Material). Unterdessen berichtet das Westfernsehen fortlaufend von der Schleyer-Entführung, Mogadischu, den Stammheim-Selbstmorden – „die haben sie umgebracht, die Schweine!“ zischt die Süße zornig am Abendbrottisch.

Eigentlich wollte ich den Film gräßlich finden, aber dann fand ich ihn „ausgesprochen hübsch“ (wie meine Mutter gesagt hätte). Vom Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg finanziert, durfte Andreas Dresen einen echten DDR-Film drehen, da hat der Anthropologe Kuhlbrodt ganz recht. Hätte die DDR 1989 ihren dritten Weg gefunden, mit solchen Filmen wäre sie auf der Berlinale 1998 vertreten gewesen, dachte das Publikum – mich eingeschlossen – und war begeistert. So setzte die Vorführung die große Tradition der Friedensarbeit durch die Berlinale fort.

Während die RAF Schleyer und einen Teil von sich selbst umbringt, beweist der DDR- Film auf komödiantisch-humanistische Manier, daß der Mensch viele Seiten hat, daß es nicht bloß Good Guys und Bad Guys und Tragödien gibt, Tatsache, wahr! Schuldirektor Rottmann – von dem kräftigen alten Otto Mellies in Erich-Honecker-Maske sehr eindrucksvoll gegeben – verzichtet, freigelassen, auf Rachemaßnahmen gegen die Süße und ihren Anbeter, unterliegt dafür aber selbst den Rachemaßnahmen der Partei und der Stasi (seine Liebste beging Republikflucht, trotzdem hielt er den Kontakt aufrecht). Direktor Rottmann, abgesetzt, stirbt an gebrochenem Herzen und darf an seinem Grab von der Süßen heiß beweint werden, was auch mir kurzfristig feuchte Augen machte: Hätte man diese rundum anständigen, höchstens ideologisch ein bissel verblendeten Echtmenschen doch in Frieden und Freiheit ihre DDR aufbauen lassen! Ich erinnerte mich an einen Berlinale-Beitrag über Guatemala, wie die CIA dort eine ebensolche Wendung zum Besseren durch Absetzung des fortschrittlichen Präsidenten (Hans Modrow) verhinderte, was das Berlinale-Publikum im Kino Arsenal mit verständiger Empörung zur Kenntnis nahm, wodurch es Friedensarbeit leistete und zur Völkerverständigung beitrug. Michael Rutschky