Fremdenpolitik in Österreich: Neues Bleiberecht ohne Konsequenzen
Trotz eines vom höchsten Gericht erzwungenen neuen Aufenthaltsrechts ist die Anzahl der geduldeten Asylbewerber nicht gestiegen. Grüne: Regelungen wurde bewusst kompliziert gemacht
WIEN taz | Österreichs neues Bleiberecht sei ein "Riesenschwindel". Dieses Urteil fällte die Grünen-Abgeordnete und Migrationssprecherin ihrer Partei, Alev Korun, nach einer parlamentarischen Anfrage ihrer Partei an Innenministerin Maria Fekter (ÖVP). Denn die Anzahl der bewilligten Anträge sei verschwindend gering.
Die Reform des humanitären Aufenthaltsrechts war im April in Kraft getreten. Mit ihr wollte die Innenministerin der Kritik an der rigiden Abschiebepraxis den Wind aus den Segeln nehmen und ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom Sommer 2008 umsetzen. Betroffene würden zu Bittstellern gemacht, die auf eine Gnadenentscheidung des Innenministers hoffen müssen, so das höchste Gericht des Landes. Damit sei das Grundrecht auf Familie und Privatleben verletzt worden. Nach der neuen Rechtslage sollen gut integrierte Asylwerber, die vor 2004 nach Österreich gekommen sind und Arbeitsplatz sowie Wohnung vorweisen können, auch dann bleiben dürfen, wenn keine anerkannten Asylgründe vorliegen. Voraussetzung ist weiterhin die Zustimmung des Innenministeriums.
Die Praxis zeigt aber, dass die Lage nicht besser geworden ist. In den ersten drei Monaten gingen beim Innenministerium 1.059 Anträge ein. Davon wurden aber nur 56 Fälle positiv erledigt. Das liegt kaum über den Werten des gesamten Jahres 2006, als 206 humanitäre Aufenthaltsgenehmigungen erteilt wurden. 2003 waren es noch 1.575 gewesen. Für besonders komplizierte Fälle wurde ein Beirat aus Vertretern von Behörden und NGOs eingerichtet. Der ist zwar einmal im Monat zusammengetreten, hat sich aber erst mit einem einzigen Fall befassen können. Denn seine Zuständigkeit wurde auf die Prüfung positiver Fälle eingeschränkt. Abgelehnte Anträge darf er nicht unter die Lupe nehmen.
Korun hat eine einleuchtende Erklärung für die geringe Erfolgsquote: "Das Gesetz hat man so kompliziert gemacht, dass die Akten ständig zwischen Fremdenpolizei, Aufenthaltsbehörde, Innenministerium und noch irgendwelchen Behörden hin und her wandern müssen." Das Innenministerium korrigierte unterdessen seine eigenen Angaben und spricht jetzt von 160 Genehmigungen.
Innenministerin Fekter zeigt sich auch bei der Asylgewährung weiterhin unflexibel. Anlässlich der Mordserie an Menschenrechtsaktivistinnen in Tschetschenien wurde bekannt, dass die Anerkennungsquote bei tschetschenischen Flüchtlingen trotz unverändert bedrohlicher Zustände von rund 80 Prozent vor zwei Jahren auf 33 Prozent gesunken ist. Änderungsbedarf sieht die Innenministerin nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen