Freiwillige Heimkehr: Aus dem Land, aus dem Sinn
Eine wissenschaftliche Studie weist Programmen für die "freiwillige Rückkehr" von Flüchtlingen leere Versprechungen und eine schlechte Betreuung nach. Bei der AWO will man davon nichts wissen.
Frau B. ist 85 und Kriegsflüchtling, Anfang der 90er-Jahre schon kam sie aus Bosnien nach Deutschland. Ihre Krankenakte ist lang: Parkinson, Hepatitis C, Diabetes, Osteoporose. Herzkrank ist sie auch, unter anderem. Trotzdem wollte sie vor ein paar Jahren in die alte Heimat zurück: "Ich vermisse die Sprache, mein Nachbarn, die Umgebung." Also hat sie sich "Heimatgarten" anvertraut, einem seit zehn Jahren bestehenden und heute landesweit agierenden Projekt der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Bremerhaven.
Es verspricht Freiwilligen eine "Rückkehr in Würde", Einzelfall-orientierte Beratung vor Ort, dazu finanzielle Mittel von meist mehreren tausend Euro. Häufig zu unrecht, wie jetzt die Psychologin Ulrike von Lersner in ihrer Dissertation heraus gefunden hat. Vor allem an der adäquaten Betreuung vor Ort mangelt es offenbar.
"Heimatgarten" hat nicht nur Frau B. "viele Versprechungen gemacht, die sie nicht eingehalten haben", sagt von Lersner. Vor der Ausreise hieß es, wir würden alles bekommen, sagt B.s Tochter. Einen Rollstuhl, ein Pflegebett, Medikamente, eine Waschmaschine und regelmäßige Besuche. Als das erste Mal vom "Heimatgarten" jemand vorbeikam, war B. schon seit sechs Wochen in Bosnien. Der Besucher sagte, sie müsste alles vom Rückkehrergeld bezahlen - 500 Bosnische Mark, umgerechnet gut 250 Euro im Monat. Die Familie weiß nicht, wie sie die mittlerweile geistig verwirrte Frau ohne all die teuren Hilfsmittel pflegen soll. Und die Tochter in Deutschland sagt heute, sie hätte sie unter diesen Umständen erst gar nicht zurückkehren lassen.
Der "Heimatgarten", initiiert von der Arbeiterwohlfahrt Bremerhaven, ist das größte von mehreren bundesweit agierenden Programmen für die so genannte "freiwillige Rückkehr". Es verspricht den Flüchtlingen weltweite eine individuelle Vor-Ort-Betreuung von bis zu zwei Jahren Dauer, dazu Hilfen von bis zu 10.000 Euro, die zur Hälfte von der Europäischen Union (EU) und den zuständigen Sozialämtern in Deutschland bezahlt werden. Das Geld soll im Herkunftsland "nach Bedarf" eingesetzt werden können, für Miete ebenso wie für medizinische Hilfen oder eine Existenzgründung. 2006 gab es laut der Studie bei Heimatgarten 1.120 Anfragen und 170 RückkehrerInnen. Zum Vergleich: 2005 verließen 7.448 Personen Deutschland mittels Rückkehr-Programmen, 215.000 galten als ausreisepflichtig, 16.965 wurden abgeschoben. Die wichtigsten Zielländer der Rückkehrer sind Serbien-Montenegro, die Türkei und der Irak.
Kein Einzelfall, sagt von Lersner. Zwei Jahre hat sie bei der AWO geforscht, insgesamt 47 RückkehrerInnen untersucht, meistens kamen sie aus Ex-Jugoslawien. Alle wurden unmittelbar vor, sowie neun Monate nach der Ausreise befragt, die Befunde mit jenen von 50 Flüchtlingen verglichen, die in Deutschland blieben. Das Ergebnis ist eine Summe von Einzelfällen, die alle in eine ähnliche Richtung weisen. "Die Situation der Rückkehrer nach der Ausreise erwies sich als sehr problematisch", so von Lersner - und zwar in jeder Hinsicht.
Schon zu Beginn der Untersuchung war jeder vierte Flüchtling suizidgefährdet, 44 Prozent litten an psychischen Störungen, vor allem an Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Neun Monate später waren es schon doppelt so viele, wesentlich mehr als in der Vergleichsgruppe. Nur ein Teil der Betroffenen hatte zu dieser Zeit überhaupt noch Kontakt zum "Heimatgarten".
Die psychische Gesundheit spielt im Programm ohnedies "nur eine untergeordnete Rolle", sagt von Lersner - anderslautenden Konzepten zum Trotz. Und von"freiwilliger" Rückkehr kann auch oft nicht die Rede sein. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge gab an, auf Druck der Ausländerbehörden auszureisen. Und wollte umgehend wieder nach Deutschland. Wer aus freien Stücken ging und blieb, war meist entweder alt oder krank - ihre medizinische Versorgung in Deutschland wäre teuer gekommen. Jedoch, und auch das hat die Studie ergeben, kann Rückkehr nur gelingen, wenn sie freiwillig ist.
Viele berichteten auch neun Monate nach der Ausreise von Ablehnung, sogar von Drohung seitens der Daheimgebliebenen. Oder von Diskriminierungen der Helfer. So wie einige Roma-Familien. "Die klauen doch eh", sollen die Heimatgarten-Leuten da etwa gesagt haben, und das sie "faul" seien, "eh nicht arbeiten" wollten und im Grunde auch gar kein Haus bräuchten: "Denn sie schlafen ja sowieso am liebsten alle in einem Zimmer auf dem Fußboden."
Volker Tegeler, Chef der AWO Bremerhaven und Initiator des Projekts, sind diese Vorwürfe "nicht bekannt". Mit der Arbeit hat er sich "nicht weiter beschäftigt". Von Lersner hat auch nie wieder von ihm gehört, die angekündigte Pressekonferenz fand nie statt. Die Datenbasis der Studie, so Tegeler, sei angesichts von über 500 betreuten Flüchtlingen "relativ dünn". Lieber verweist er auf "unzählige gelungene Beispiele", allein in Bosnien. "Der Befund wird nicht gemindert durch die Stichprobengröße", sagt von Lersner. Auch an der Uni Konstanz teilen sie den Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit nicht: Die Arbeit bekam "magna cum laude", eine glatte Eins.
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