Freispruch gegen Polizisten aufgehoben: Oury-Jalloh-Prozess wird wiederholt
Der BGH in Karlsruhe hat entschieden, dass der Feuertod des Afrikaners in einer Dessauer Polizeizelle neu aufgerollt wird. Das Urteil des Landgerichts weise Lücken auf.
DESSAU taz/dpa | Als das Landgericht Dessau-Roßlau im Dezember 2008 zwei angeklagte Polizeibeamte vom Verdacht der Mitschuld am Feuertod des afrikanischen Asylbewerbers Oury Jalloh freisprach, reichten die Reaktionen von Enttäuschung bis zu offener Empörung. Staatsanwaltschaft und Nebenklage beantragten umgehend Revision. Am heutigen Donnerstag, dem fünften Todestag Jallohs, hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe nun entschieden, dass der Fall erneut aufgerollt werden muss.
Es ging speziell um den ehemaligen Dienstgruppenleiter Andreas S., während der Freispruch für seinen Kollegen Hans-Ulrich M. auch von der Staatsanwaltschaft gefordert worden war. Nach Auffassung der Karlsruher Richter weist das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom Dezember 2008 zahlreiche Lücken auf. Die Richter des BGH äußerten zudem Zweifel daran, ob der Ablauf des Geschehens am Tag des Brandes vom Landgericht zutreffend festgestellt wurde. Die Richter in Sachsen-Anhalt hatten einen Dienstgruppenleiter vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen. Der aus Sierra Leone stammende 23-Jährige war genau vor fünfJahren in einer Polizeizelle verbrannt.
In den Morgenstunden des 7. Januar 2005 wurde der junge Afrikaner Jalloh festgenommen. In angetrunkenem Zustand soll er mit Reinigungsarbeiten beschäftigte Frauen belästigt haben. Weil er Widerstand leistete, wurde er in einem Keller des Dessauer Polizeireviers auf eine Pritsche gefesselt. Alarmsignale des Rauchmelders aus der Zelle zur Mittagszeit wurden vom Dienstgruppenleiter zunächst ignoriert. Dabei sollen auch rassistische Äußerungen gefallen sein. Als die Beamten schließlich reagierten, kam wegen heftiger Rauchentwicklung in der Zelle bereits jede Hilfe für den Afrikaner zu spät. Oury Jalloh verbrannte, weil er gefesselt angeblich seine Matratze mit einem Feuerzeug selbst angezündet haben soll.
Gutachter kamen schon 2006 zu dem Schluss, dass der Asylbewerber hätte gerettet werden können. Seine ebenso schrecklichen wie mysteriösen Todesumstände wurden in dem langwierigen und mehrfach unterbrochenen Prozess nie geklärt.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) ermahnte nach dem Urteil die Beamten, pflichtgemäß zur Wahrheitsfindung beizutragen.
In umfangreichen Analysen und Stellungnahmen setzen sich Menschenrechtsorganisationen und die Gedenkinitiative Oury Jalloh weiterhin mit dem Fall auseinander. Auch am heutigen fünften Todestag beginnt am Dessauer Hauptbahnhof um 14 Uhr eine Demonstration.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste