Freispruch für umstrittenen Laborarzt: „Expandieren ist nicht strafbar“
Bernd Schottdorf wird vom Betrugsvorwurf freigesprochen – mal wieder. In den Augen des Gerichts waren die Behörden völlig überfordert.
Geduldig wartet er an der Sicherheitsschleuse, wo seine Ex-Frau und Noch-Mitangeklagte Gabriele Schottdorf gerade kontrolliert wird. Ein Fotograf versperrt ihm den Weg, nicht merkend, dass das begehrte Motiv direkt hinter ihm steht.
„Freispruch“ heißt es dann wenig später im Schwurgerichtssaal 101. Der Laborarzt kennt das schon. Bereits in den achtziger und neunziger Jahren wurden zwei Betrugsverfahren gegen ihn eingeleitet. Damals ging es – wie auch jetzt – um Abrechnungsbetrug und um Scheinselbstständigkeit von Ärzten. Beide Male wurde Schottdorf freigesprochen.
Nach dem heutigen Urteil nimmt sich die Vorsitzende Richterin Susanne Riedel-Mitterwieser mehr als zwei Stunden Zeit, die Entscheidung zu begründen – und dabei kein Blatt vor den Mund: Deutliche Kritik an der Arbeit der Ermittlungsbeamten wie auch an dem in ihren Augen schwachen Plädoyer der Staatsanwaltschaft schwingen in ihren Ausführungen mit. Letztere hatte neben den viereinhalb Jahren Haft für die beiden Angeklagten ein Bußgeld in Höhe von 15,8 Millionen Euro gefordert.
22 Verhandlungstage habe man sich für die Beweisaufnahme Zeit genommen, 30 Zeugen befragt, zwei Sachverständige gehört und unzählige Dokumente geprüft, zählte Riedel-Mitterwieser auf. Allein: Belege für ein strafbares Handeln habe man nicht gefunden.
Dabei wogen die Vorwürfe schwer. Gewerbsmäßigen Betrug in 124 Fällen hatte Staatsanwältin Simone Bader den Schottdorfs vorgeworfen. Laborleistungen im Umfang von fast 79 Millionen Euro hätten sie in den Jahren 2004 bis 2007 zu überhöhten Preisen abgerechnet, indem sie sich eines Netzes von scheinselbstständigen Außenlaboren bedient hätten, um vorgeschriebene Rabatte nicht gewähren zu müssen. So hätten die Schottdorfs den gesetzlichen Krankenversicherungen einen Schaden von knapp 13 Millionen Euro zugefügt.
Komplizierte Materie
Die Materie ist jedoch mehr als kompliziert – ein Fakt, auf den hinzuweisen auch die Richterin nicht müde wird. 90 Umzugskisten voller Dokumente habe die Polizei seinerzeit in dem Labor beschlagnahmt. Man habe sogar eigens Räume anmieten müssen, um sie unterzubringen.
Doch: Die damaligen Ermittlungsbeamten seien völlig überfordert gewesen. So hätten sie sich mit der hochkomplexen Abrechnungspraxis nur unzureichend ausgekannt. Eine Beamtin habe auf die Frage, wie sie sich denn in den Sachverhalt eingearbeitet habe, nur geantwortet, sie habe einen Aufsatz gelesen.
Die Richterin kann sich auch Spitzen gegen die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht verkneifen, deren Juristen sich in ihren Zeugenaussagen ihrer Meinung nach durch besonders wenig hilfreiche Äußerungen hervorgetan haben. „Herumlaviert“ hätten sie, „inhaltsleere Worthülsen“ abgeliefert oder sich in Widersprüche zu früheren Aussagen verstrickt. Ein einheitliches Meinungsbild habe es jedenfalls nicht gegeben – dabei seien die Kassenärztlichen Vereinigungen schließlich die vermeintlichen Geschädigten gewesen.
Landtagsuntersuchungsausschuss geht weiter
Auch habe man den Schottdorfs kein vorsätzliches Verhalten nachweisen können, so die Richterin. „Nicht jedes Gewinn- und Expansionsstreben stellt per se eine strafbare Handlung dar.“ Der Freispruch stand daher für das Gericht außer Frage.
Trotz des Freispruchs wird man von Schottdorf und seiner Ex-Frau allerdings noch länger hören. In München beschäftigt sich seit anderthalb Jahren der Untersuchungsausschuss „Labor“ mit der Frage, ob die Politik zugunsten der Schottdorfs Einfluss auf die Augsburger Ermittlungen genommen hat.
Bernd Schottdorf selbst gibt sich heute wortkarg. „Das war doch eindeutig“, ist sein einziger Kommentar zum Urteil, bevor er das Gerichtsgebäude verlässt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!