Freispruch für Hannovers Ex-OB Schostok: Nichts gewusst, trotzdem weg
Bei Stefan Schostok (SPD) sieht das Gericht keine Untreue zu Lasten der Stadt. Bei zwei seiner Ex-Mitarbeiter schon.
Vier Monate lang waren im Landgericht Hannover unter dem Vorsitz von Richter Patrick Gerberding Whatsapp-Chats verlesen, Aktenvermerke analysiert und Zeugen gehört worden.
In der juristischen Feinarbeit erschöpfte sich am Ende eine Skandalgeschichte, die in der Stadt monatelang für Kopfschütteln gesorgt hatte: Es begann mit einem Disziplinarverfahren gegen den Personaldezernenten, der seiner Lebensgefährtin einen Job zuschanzen wollte. Ging weiter mit vertraulichen Personalakten, die bei der Opposition und der Presse landeten. Und endete nach monatelangen Querelen und zeitweise bizarren öffentlichen Auftritten aller Beteiligten mit dem Rücktritt des Oberbürgermeisters – und letztlich dem Verlust der SPD-Herrschaft im Rathaus nach über 70 Jahren.
Büroleiter findet immer noch, das Geld stehe ihm zu
Am Ende sah es das Gericht als erwiesen an, dass Personaldezernent Härke monatelang Zulagen für den Chefjuristen und engsten Vertrauten des Bürgermeisters angewiesen hatte, obwohl ihm klar war, dass diese illegal waren. Mehr noch: Härke soll behauptet haben, die Zulagen für Herbert seien mit der Kommunalaufsicht im Innenministerium abgesprochen worden. Das wertete das Gericht als Betrug, weil damit die Bedenken anderer Mitarbeiter im Personaldezernat ausgehebelt wurden.
Bei dem Profiteur des Ganzen, Herbert, ist die Bewertung diffiziler: Fast 50.000 Euro, rund 1.300 Euro im Monat, hat Schostoks wichtigster Mann bis Mai 2018 zu viel kassiert, den Betrag stottert er bis heute widerwillig von seinem Gehalt ab.
Im Grunde scheint Frank Herbert aber immer noch davon überzeugt, dass Geld habe ihm doch eigentlich zugestanden – weil man ihn ja ursprünglich zum Dezernenten hatte machen wollen (was sich politisch nicht durchsetzen ließ), und auch weil er so viel und so hart arbeitete.
Schostok hat es nicht wissen wollen
Während der Richter die Urteilsbegründung vorliest, schüttelt er mehrfach den Kopf, pult ansonsten an seiner Handfläche herum und schleicht am Ende an den wartenden Journalisten vorbei aus dem Gerichtssaal, während die anderen beiden Angeklagten ihre Statements abgeben.
Dabei hat ihm das Gericht diese subjektive Auffassung sogar abgenommen – die Offenheit Herberts sei ja dicht an einem Geständnis gewesen, sagt der Richter. Nur die Wertung ist letztlich eben eine andere: Herbert hätte seinen Chef – also Schostok – zumindest darüber informieren müssen, dass es da ein paar rechtliche Bedenken gab, hält das Gericht ihm vor. Und auch wenn er die Zulage als Kompensation für Überstunden verstanden wissen wollte, hätte er diese eben ordentlich anzeigen und dokumentieren müssen.
Unter dem Strich geht das Urteil von einem vermeidbaren Verbotsirrtum aus, wie es bei Juristen heißt. Sprich: Herbert hätte es besser wissen müssen, wollte das aber lieber nicht.
Und dieses Nicht-wissen-Wollen gilt dann erst recht für den angesichts seines Freispruchs sehr, sehr erleichterten Stefan Schostok. Der, sagt das Gericht, hätte natürlich gründlicher prüfen können und vielleicht auch müssen, ob alles mit rechten Dingen zugeht, als die ersten Gerüchte bei ihm landeten. Aber für den Vorwurf der Untreue reiche das allein eben nicht. Bis zum Schluss, sagt der Richter, habe er offenbar auf seinen Chefjuristen und engsten Mitarbeiter Herbert vertraut.
Ihre Karrieren sind beendet
Die Staatsanwaltschaft hatte hier grobere Pflichtverletzungen gesehen und für alle drei Angeklagten Bewährungsstrafen plus Geldstrafen in unterschiedlicher Höhe gefordert. Trotzdem zeigte sich Oberstaatsanwalt Thomas Klinge nicht unzufrieden mit dem Urteil. Das Gericht sei „in Nuancen“ zu einer anderen Bewertung gekommen, die Materie eben sehr komplex, man werde die Begründung gründlich prüfen, bevor man über eine mögliche Revision entscheide, sagt er.
Was übrig bleibt, sind drei Männer, deren Karrieren auch mit milden Strafen beendet sind. Auch wenn Ex-OB Schostok im Gerichtsflur betont, dass er ja erst 56 Jahre alt werde und sich durchaus vorstellen könne, sich wieder politisch zu engagieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund