: „Freiheit gibt’s zum Nulltarif“
Die „C3PO-Medaille für Online-Poesie“ wird erstmals verliehen. Ein Wahrheit-Interview
Man kennt es aus der Mailbox: Newsletter ohne News, Geschwätz ohne Ende. Während konservative Kreise den „Analphabetismus“ der Generation Cyberspace beklagen, konstatiert die Duisburger Steve-Jobs-Stiftung einen genau gegensätzlichen Trend: Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit wurden so viele Buchstaben so hemmungslos in die Welt gesetzt wie im Internet-Zeitalter. Um die Vollschreiber des Netzes zu ehren, hat die Stiftung die „C3PO-Medaille für Online-Poesie“ ausgelobt. Erste Empfängerin des mit 10.000 Euro dotierten Literaturpreises ist Julia Henz-Zwetschen (36) aus Stuttgart. Seit zwei Jahren verfasst sie Texte für die wöchentlichen Rundmails von Internet-Dienstleistern wie GMX und web.de. Wir haben mit der Digitaldichterin gesprochen.
taz: Gratulation zu Ihrer Auszeichnung! Was bedeutet Ihnen mehr – die Ehrung oder das Preisgeld?
Julia Henz-Zwetschen: Großstädte sind ein teures Pflaster – auch im Sommer.*
Wem sagen Sie das … Und im Frühling ist es kein Deut besser!
So langsam meint der Frühling es richtig ernst. Klar, dass es einen da tagsüber nach draußen treibt – zur Besichtigung der ersten floralen Frühlingsboten.
Wieso schreiben Sie eigentlich so geschraubt?
Ehe sich der in diesem Jahr wettertechnisch leider erst gegen Ende wonnigliche Mai verabschiedet, wollen wir noch einmal Frühlingsgefühle bei Ihnen heraufbeschwören.
Es ist doch schon Juli – geht Ihre Uhr eventuell einige Monate nach?
Wie nennt man eigentlich das Jahrzehnt, in dem wir leben? Sind das die „Nullziger“? „Zeroes“? „Nuller“? „Doppelnuller“?
Sie können vielleicht Fragen stellen! Aber zum Fragenstellen bin ich hier!
Es kann mitunter richtig in Arbeit ausarten, immer den Überblick behalten zu wollen.
Eine Arbeit, die Sie sich gern ersparen, oder? Ihren Texten merkt man ja unschwer an, dass Sie einfach drauflos labern und dabei völlige Narrenfreiheit haben.
Diese Freiheit gibt’s bei GMX zum Nulltarif.
Soll das heißen, dass Sie kein Honorar für Ihre Texte bekommen?
Mit dieser irgendwie ja doch völlig sinnfreien Konzentration auf Äußerlichkeiten …
Na, von irgendwas müssen aber auch Sie leben! Wie zum Beispiel bezahlen Sie Ihre Urlaubsreisen?
Kinderleicht per Mausklick gelangen Sie zu Ihrem ganz persönlichen Traumurlaub.
Und wohin führt der Sie? Auf die Malediven? Nach Goa?
Schließlich gibt es auch hierzulande viel zu entdecken. Warum nicht mal auf Rügen Sandburgen bauen, das Urmel in der Augsburger Puppenkiste besuchen oder eine echte Thüringer genießen?
Frau Henz-Zwetschen, zum letzten Mal: Ich stelle hier die Fragen! Eine echte Thüringer habe ich übrigens noch nie gegessen.
Das ist ja mal wieder typisch: Kaum erzählen wir Ihnen ein bisschen was übers Reisen, schon bekommen Sie wieder diesen ganz bestimmten Blick. Irgendwie verklärt, träumerisch.
Stimmt doch gar nicht. Mir tränen nur die Augen, weil ich gegen bestimmte florale Frühlingsboten allergisch bin.
Der Sommer macht so viel Spaß. Vor allem auch, weil man sich endlich wieder im Freien sportlich betätigen kann.
Und was ist mit Skifahren im Winter?
So ist es nun einmal: Was für viele Männer der „Fußball“ ist, sind für viele Frauen … die Männer. Nämlich? Genau: die schönste Nebensache der Welt!
Skifahren! Nicht Fußball!
Gesetzte Mittdreißiger beugen das mittlerweile von edlem Tuch umhüllte Knie für ein paar Runden auf der guten alten Carrera-Bahn.
Sie sind ein bißchen wahnsinnig, das ist Ihnen doch klar?
Gute Allgemeinbildung ist wieder gefragt.
Die „C3PO-Fördermedaille“ ist zwar ein Literaturpreis. Aber was bedeuten einer Digitaldichterin überhaupt noch Bücher?
Lesen ist Sex im Kopf. Ein gutes Buch zieht sich vom zarten oder kräftigen Einstieg über den Höhepunkt bis zum grandios-fulminanten Finale.
Eine letzte Frage: Wenn Sie keine echte Thüringer bekommen können, essen Sie angeblich am liebsten lebende Hasen. Stimmt das?
Für Mensch und Hase am gangbarsten ist wohl dieser Kompromiss: Zuerst Hasenkopf vom Hasenrumpf trennen und sofort verzehren, denn dann muss das Häschen nicht mehr leiden. Den Rest entweder von oben nach unten abtragen oder zu einem späteren Zeitpunkt zum Backen verwenden. Denn das weiß ja nun wirklich jedes Kind: Das Beste am Hasen sind die Ohren!
Frau Henz-Zwetschen, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. INTERVIEW:
KAY SOKOLOWSKY
* Die Antworten von Julia Henz-Zwetschen wurden kompiliert aus Newsletters von web.de und GMX