Freiheit der Frau, sich zu verhüllen: Türkei ändert Verfassung für Kopftuch
Mit einer historischen Entscheidung ändert das türkische Parlament die Verfassung, um das bislang geltende Kopftuchverbot an den Universitäten aufzuheben.
ISTANBUL taz In einer historischen Sitzung hat das türkische Parlament in der Nacht zum Donnerstag das Kopftuchverbot aufgehoben - zunächst an den Universitäten. Über die Verfassungsänderungen wird am Sonnabend abschließend abgestimmt. Wenn Staatspräsident Abdullah Gül sie mit seiner Unterschrift abgesegnet hat, tritt die Neufassung in Kraft. Die Opposition bereitet einen juristischen Kampf und Massendemonstrationen dagegen vor. Die Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) will als Nächstes den Absolventen der religiösen "Imam- und Predigerschulen" den Zugang zum Studium erleichtern und die Zusammensetzung des Kassationshofs Yargitay in ihrem Sinne ändern.
Die Gegner sehen darin weitere Schritte zu einer deutlich islamisch-sunnitisch geprägten Gesellschaft. Ausgerechnet schick angezogene, junge Abgeordnete schickte Ministerpräsident Tayyip Erdogan ans Rednerpult, um die "Freiheit der Frau, sich zu verhüllen", zu verteidigen. Keine einzige Frau hatte in den Parteigremien gesessen, die die Verfassungsänderung vorbereiteten. Die Sozialdemokraten im Parlament, die autoritär-kemalistische CHP und die demokratische Linke sowie die Kurden sprachen sich mit scharfen Worten gegen die Verfassungsänderung aus. Eine systematische Unterhöhlung des Laizismus warfen sie den Männern der AKP vor.
Die Debatte drehte sich bald nicht mehr nur um das Kopftuch, sondern um die Philosophie des Laizismus und der Aufklärung insgesamt. Eine "Geiselnahme der Demokratie für fundamentalistische Ziele" wirft die Opposition Erdogan vor, der nun sein wahres Gesicht gezeigt habe. Ganz klar distanzierte sich auch Aysel Tugluk, Chefin der kurdischen Demokratischen Gesellschaftspartei (DTP), von der Regierung. Tugluk sagte, dass "sich Erdogan, die Nationalisten und die Armee" auf eine islamisch-konservative Einbindung der Kurden in das System geeinigt hätten. Tugluk behauptete, dass die "heilige Allianz" eine große Landoffensive im Irak im Frühjahr plane und die Armeeführung gegenüber den Islamisten im Gegenzug das Kopftuch "erlaubt" habe. Tugluk sagte: "Diese Politik wird nur ein Ergebnis haben: die Geburt einer kurdischen Hamas." Die tiefe Spaltung in der türkischen Gesellschaft und die an Panik grenzende Angst des säkularen Lagers spiegelt sich überall wider.
Säkular geprägte Berufsorganisationen wie die Anwaltskammern, beide Gewerkschaftsdachverbände, aber auch der Arbeitgeberverband Tüsiad mit seiner weiblichen Präsidentin Arzuhan Yalcindag sind gegen die Verfassungsänderung. Die wichtigste Rolle kommt dem Kassationsgerichtshof, der unter anderem bei Parteiverbotsverfahren in der Revision entscheidet. Der Generalstaatsanwalt in Ankara hat die Akten über die AKP und die extrem rechte MHP eingefordert, hieß es gestern in Ankara. Parteienverbotsverfahren wegen "Verstoßes gegen den Laizismus" könnten folgen.
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