Freies mobiles Betriebssystem MeeGo: Wie ein bunter Segelfisch
Die Entwickler des freien Mobil-Betriebssystems „MeeGo“ haben erste Details verraten. Das System kann mit Android und Apple mithalten und erscheint 2013.
BERLIN taz | An Chuzpe fehlt es dieser Mannschaft nicht: Auf der Internet-Konferenz „Slush“ im finnischen Helsinki hat die junge Firma Jolla erstmals nähere Details zu ihrem neuen Smartphone-Betriebssystems Sailfish OS verraten. Die Software soll ab dem zweiten Quartal nächsten Jahres zusammen mit passenden Handys auf den Markt kommen und neben iOS, Android, Windows Phone, Blackberry und Firefox OS eine weitere Alternative für Käufer von Mobilgeräten bieten. Das System nutzt die freie Software Linux als Basis.
Ganz neu ist Sailfish, was auf Deutsch so viel wie Segel- oder auch Fächerfisch bedeutet, nicht: Es basiert grundsätzlich auf MeeGo, einem Mobilbetriebssystem, das einst bei Nokia in Zusammenarbeit mit Intel entstanden war, dann aber zugunsten von Microsofts Windows Phone aufgegeben wurde. Jussi Hurmola, einer der Hauptverantwortlichen für das mit MeeGo arbeitende Smartphone Nokia N9, das kurz nach seiner Vorstellung wieder in der Versenkung verschwand, hatte dazu einige alte Mitstreiter von Nokia angeheuert, die es nun nochmals wissen wollen.
Was auf der „Slush“ zu sehen war, macht Mut: Sailfish verfügt demnach über eine durchaus schicke und vor allem schnelle Oberfläche. Der Homescreen bietet die Möglichkeit, Anwendungen in den Hintergrund zu schicken und wieder hervorzuholen, schnell gewechselt wird zwischen ihnen über Wischgesten. Außerdem ist es ähnlich wie bei Windows Phone möglich, mit Programmen zu interagieren, die im Hintergrund laufen – das ist auch im minimierten Zustand möglich. Ein ständiges Umschalten zwischen Apps, wie man es etwa von iOS kennt, ist nicht notwendig. Sailfish soll zudem über eine breite Multimediaunterstützung verfügen.
Das neue Betriebssystem lief bei der Demonstration in Helsinki auf einem Nokia-Gerät, dem N950, das nur für Entwickler verfügbar war und einst MeeGo-Programmierern als Plattform diente. Auch Nokia interessiert sich für die kostengünstigen Prozessoren. Außerdem will Jolla demnächst weitere Partner bekanntgeben, die Geräte mit der Software verkaufen wollen. Ähnlich wie schon das Firefox-OS-Projekt hofft man bei Jolla auf Hersteller, die keine Lust haben, sich unter Googles mächtiges Android-Dach zu begeben. Entsprechend lässt sich Sailfish auch breit konfigurieren und an Netzbetreiber anpassen.
Keine Unterstützung für das Altgerät
Wer noch ein Nokia N9 in der Schublade hat und enttäuscht ist, dass der Hersteller MeeGo nicht weiter entwickelt, wird Sailfish allerdings zunächst nicht verwenden können. Eine offizielle Unterstützung für das Altgerät werde es nicht geben, teilte Jolla mit. Allerdings werde niemand Entwickler daran hindern, Sailfish auf das MeeGo-Smartphone zu portieren, das unter Geeks noch immer viele Fans hat.
Ob sich Sailfish durchsetzen kann, wird auch davon abhängen, ob es den Finnen gelingt, genügend Entwickler auf ihre Plattform zu locken. Allerdings hat das Betriebssystem aufgrund seiner Linux-Grundlage den Vorteil, dass sich auch „viele“ Android-Apps ausführen lassen sollen - dazu müssen Programmierer allerdings kleinere Modifikationen vornehmen, um Sailfish voll zu unterstützen. Mit etwas Glück stehen dann zum Marktstart zumindest die wichtigen Softwaretitel bereit. Eine Entwicklungsumgebung bietet Jolla derzeit übrigens noch nicht.
Wenn es nach den Finnen geht, soll Sailfish nicht nur auf Smartphones laufen, sondern auch Tablets, Smart-TV-Geräte und Unterhaltungssysteme fürs Auto unterstützen. MeeGo war einst ähnlich geplant, hätte nach dem Geschmack des Nokia-Partners Intel auch auf Notebooks laufen soll. Nun hängt alles nur von den Nutzern ab - sie müssen überzeugt werden, dass iOS, Android oder Windows Phone nicht der Weisheit letzter Schluss sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation