Nokias Touchscreen-Handy N9: Das wäre ihr Preis gewesen
4 Jahre nach dem ersten iPhone hat der finnische Handy-Hersteller Nokia ein Gerät vorgestellt, das mit Apple konkurrieren könnte. Nur: Die Technik wird bald sterben.
Nokia hat mit dem N9 ein neues Smartphone vorgestellt, das Apples iPhone Konkurrenz machen soll. Das Gerät des finnischen Handy-Herstellers besitzt als eines der ersten Touchscreen-Telefone keine Knöpfe mehr auf der Oberfläche. Stattdessen wird es komplett mit Fingerstrichen bedient.
Eine Bewegung zur Seite, schon erscheint die nächste Anwendung. Ähnlich aufgerufen wird auch eine Multitasking-Oberfläche, mit der man eine Übersicht der gerade laufenden Anwendungen erhält. Kneifgesten, wie man sie vom iPhone kennt, sorgen außerdem für mehr Überblick, ein eingebauter Browser lässt sich per Finger bedienen, Spiele und alle anderen Anwendungen ebenfalls.
Technisch basiert das N9 auf dem Betriebssystem Meego, das Nokia zusammen mit dem Chipproduzenten Intel seit 2009 entwickelt. Genau das ist auch das Problem: Zwar sieht das neue Smartphone mit seinem fein gefrästen Plastikgehäuse gut aus, ist flach und minimalistisch gestaltet, aber Nokia hat sich längst von Meego verabschiedet.
Griechisch-finnische Trägödie
Stattdessen will der neue Firmenchef Stephen Elop, der ursprünglich von Microsoft kommt, baldmöglichst auf das neue Microsoft-Telefonbetriebssystem Windows Phone 7 umsteigen, das Nokias Hauptplattform werden soll, obwohl es selbst noch zu den eher kleinen Mitspielern im Markt gehört. Entsprechend bleibt dem N9 nur eine kurze Frist, auch wenn Nokia beteuert, man werde Meego und die dritte firmeneigene Plattform Symbian in den nächsten Jahren weiterbetreuen.
Das Dilemma könnte Nokia viele Kunden kosten. Dabei ähnelt Espoo, die finnische Industriestadt, die Hauptsitz des Handy-Herstellers ist, mittlerweile dem Schauplatz einer griechischen Tragödie. Seit Jahren schon geht es mit den Skandinaviern bergab, ein neues Smartphone mit technischen Highlights jagte zwar das andere, doch keines war auch nur ansatzweise so populär, dass es mit dem mächtigen Wettbewerber aus Cupertino (Apple) oder der seit einigen Jahren rollenden Mobilfunk-Dampfwalze namens Android (von Google) konkurrieren könnte.
Stattdessen ist Nokia heute vor allem für seine Billighandys bekannt, die zwar beliebt sind und Geld bringen, technisch aber nur selten nach vorne weisen. Das N9 könnte diese Granate nun sein, mit seinem hochauflösenden 4-Zoll-Bildschirm, einer guten Kamera, angeblich bis zu 64 Gigabyte Speicher und technischen Neuerungen wie einem drahtlosen Bezahlchip (NFC). Selbst eine eigene Version des Hitspiels "Angry Birds" ließ Nokia entwickeln. Doch das Gerät kommt, wenn man ehrlich ist, zu spät.
Waisen-Handy
Hinzu kommt die Tatsache, dass Meego als Anwendungsplattform noch ganz am Anfang steht: Haben Android und Apples iOS mittlerweile "Apps" im sechsstelligen Bereich, kommen bei Meego höchstens ein paar Hundert bis Tausend (mit Bastelarbeiten durch Gadgetliebhaber) zusammen. Da es bislang nicht viele Geräte - neben dem N9 unter anderem ein Tablet und ein paar weitere Handys - gibt, dürfte es auch in Zukunft an Programmen mangeln. In der Branche fragt man sich unterdessen, warum Nokia das N9 überhaupt noch auf den Markt bringt.
Die Fach-Website The Register schreibt, Nokia habe wohl noch vertragliche Verpflichtungen. Das N9 sei eine "Waise", "Meego ist als eher teure Ablenkung für Bastler gedacht". Was allerdings mit dem Hauptgeschäft von Nokia passiert, ist weiter unklar. So nennen die Finnen bislang immer noch keinen genauen Termin für ihre ersten Geräte mit Windows Phone 7 - frühestens im Herbst wird es wohl soweit sein. Bis dahin bringt Apple unter anderem ein neues iPhone und Googles Android-Betriebssystem dürfte eine ganze Reihe weiterer Top-Handys auffahren. Es sieht nicht gut aus in Espoo.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?