Freies Radio: Schafft ein, zwei, viele Radiosender!
Mit Hilfe winziger Mikro-Sender wollen RadioaktivistInnen ein dezentrales Freies Radio in Berlin etablieren. Gerade findet die Radiowoche 2008 statt.
"Duckt das jetzt? Was machen wir, wenn es nicht duckt?" Zwei Mikrofone, ein Mischpult, Lautsprecher und einige wenige blinkende Geräte stehen auf einem alten Flügel. Eine Gruppe von sechs RadioaktivistInnen steht drum herum. Worte wie "Kompressoren", "Ducking" und "Ploppschutz" schwirren durch den Raum. Es ist dunkel draußen, durch die großen Fenster flackert der Fackelschein der Touristenmeile Oranienburger Straße in das Erdgeschoss des Tacheles - die Räume des bootlab e. V.
Der Raum ist karg, einige einfache Tische und eine gemütliche 70er-Jahre-Polstergarnitur stehen darin. Von hier aus wird bis nächsten Mittwoch im Rahmen der Radiowoche 2008 täglich 24 Stunden gesendet. Da es in Berlin immer noch keine Frequenz für ein Freies Radio gibt, bedienen sich die Freaks von Mikro.FM eines in Tokio erstmals erprobten Konzepts für dezentrales UKW-Radio.
Heiko Thierl setzt sich in seinem grauen Wollpullover auf die 70er-Jahre-Polster und zieht kleine Tütchen aus einem Koffer. "Das ist er", sagt er verheißungsvoll. Thierl hat Medienwissenschaft studiert und für den RBB gearbeitet, doch gerade investiert er fast seine ganze Energie in den Inhalt der Tütchen und die Radiowoche. Es handelt sich um Bausätze für Mikro-Sender. Zusammengebaut lassen sie sich in den USB-Anschluss eines Computers stecken und senden den Internetstream, je nach Stärke, bis zu einem Umkreis von 100 Metern, wo ihn jedes handelsübliche Radiogerät empfangen kann. Erst seit eineinhalb Jahren ist es legal, solche Mini-Sender zu betreiben, erklärt er.
Die Idee geht auf den japanischen Medienwissenschaftler Tetsno Kogawa zurück. Schon in den 80er-Jahren hat dieser in mehreren japanischen Städten solche Sender betrieben. Da die Bevölkerungsdichte in japanischen Städten um ein Vielfaches höher ist als hier, habe er dort mit einem Sender bis zu 10.000 Menschen erreichen können. "In Berlin sind es wohl eher hundert", schätzt Heiko Thierl.
Ein bisschen Lötkenntnisse setzt die Konstruktion des Senders allerdings voraus. "Wir raten denen, die nicht selber löten wollen, sich einen chinesischen Sender bei Ebay zu bestellen", sagt Heiko. "Die senden weiter und kosten nur wenige Euro." Für 20 Euro könne man aber auch den fertig aufgebauten Sender unter www.piradio.de bestellen. "Wir hoffen, dass möglichst viele mitmachen und sich das Konzept möglichst viral ausbreitet", erklärt Thierl die Idee. Schon seit April vergangenen Jahres sendet die Initiative jeden Sonntag ab 18 Uhr von verschiedenen Orten.
Auch programmlich wollen sich die AktivistInnen von Mikro.FM von den etablierten kommerziellen Radiosendern abheben. "Viele Radiosender kann ich nicht mehr anhören. Das meiste ist doch nur noch Dudelfunk, durchformatiert wie McDonalds", kritisiert Heiko Thierl. Die Aufgabe der Medien, zwischen den Menschen zu vermitteln, werde verfehlt. Dabei sei Radio ein großartiges Medium, man könne sich in unbekannte Räume entführen lassen und wie ein Kind einer Geschichte lauschen. Man merkt ihm die Begeisterung an, wenn er vom Medium Radio redet.
Inhaltlich beschäftigt sich das Programm der Radiowoche 2008 mit Freien Radios und Radioinitiativen weltweit. Am heutigen Freitag wird es vor allem um Nordamerika gehen. "Dann nähern wir uns in konzentrischen Kreisen der Situation in Berlin und Brandenburg an", erklärt Heiko das Konzept. Nach Schwerpunkten zu Lateinamerika, Asien und Osteuropa und Berichten von und über Freie Radios im deutschsprachigen Raum soll zum Abschluss am kommenden Mittwoch ein Tag mit Berliner Initiativen und Gruppen gestaltet werden. An diesem Tag ist jeder und jede aufgerufen, sich zu beteiligen. Dann wird auch Heiko Thierl seine eigene Sendung über die "Vor- und Nachteile der Digitalisierung" haben und die Medienaktivistin Anne Roth als Gast ins Studio laden.
Mit Prognosen für die Chance auf eine eigene Frequenz eines Freien Radios in Berlin oder Brandenburg sind die MacherInnen von Mikro.FM vorsichtig geworden. Schon seit Jahren kämpfen wechselnde Initiativen dafür - bisher ohne Erfolg. Immer scheiterten die Ambitionen an der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB), die für die Vergabe der Frequenzen zuständig ist. "Wir gucken, was wir für einen Impact hatten, um zu entscheiden, wie wir weitermachen", formuliert Heiko Thierl die Perspektiven zurückhaltend.
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