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Frederic Valin Helden der BewegungVon Flitzern und der wahren Schönheit nackter Ärsche im Stadion

Die alten Griechen trieben nackt Sport. Keiner weiß so ganz genau, warum. War’s zur Feier des jugendlichen, idealen Körpers? Weil das Nacktsein einen den Göttern näher bringt? Damit alle gleich sind vor Ball und Sandbahn? Oder war’s, wie die Legende geht, weil einer mal beim Kurzstreckenlauf knapp vor dem Ziel den Lendenschurz verlor, lang dahinschlug und so um den Sieg kam? Man weiß es nicht, es hat keiner aufgeschrieben, es ist alles nur reine Spekulation.

Heute ist Nacktheit im Sport verpönt; wer sich beim Jubeln seines Shirts entledigt, wird verwarnt. Selbst Cristiano Ronaldo, der ja ständig an der Sexualisierung seines Körpers arbeitet, hat sich für seine Statue auf Madeira in Montur abbilden lassen, obzwar es sich in seiner Hose auffällig wölbt. (Wie lange noch, ist fraglich, denn Betrachter neigen dazu, bei Skulpturen die besonders hervorstechenden Merkmale anzufassen, entsprechend wird als Erstes die Beule erodieren; CR7 wird von seiner eigenen Ruhmsucht nach und nach entmannt.)

Nackt aufs Feld kommt eigentlich nur noch ein Typus, den man in Deutschland – weil ja so unvernünftig – in reinstem Kindergartensprech „Flitzer“ nennt. Die Strafen für Flitzerei sind drakonisch. Einem nackten Mann in die Tasche greifen? Gute Idee, findet der DFB. Im öffentlichen Raum ist das, was früher „grober Unfug“ hieß und heute „Belästigung der Allgemeinheit“ mit Strafen von bis zu 1.000 Euro bewehrt. Das ist der Maximalfall, aber die Verbände versuchen, den Preis in die Höhe zu treiben: Ein kroatischer Fan, der während der WM 2006 auf den Rasen kam, sollte als Strafe 140 Euro zahlen, das klingt erst mal machbar, aber es wurden dann noch 1.000 Euro Bearbeitungsgebühr draufgeschlagen. In der Zwischenzeit sind die Strafen noch gestiegen, was daran liegt, dass die Vereine Geldbußen, die ihnen der Verband auferlegt, an die Störer weitergeben dürfen. Das soll abschreckend wirken.

Aber warum? Weil es Schamgefühle der Zuschauer verletzt? Und dann sieht man in Großaufnahme die Chefetage des FC Bayern, wo neben einem verurteilten Steuerhinterzieher und einem mutmaßlich korruptem Funktionär ein Mann sitzt, der sehr auf schwer reimt und toll auf soll; sie besprechen da, was sie mit den Millionen aus Katar anfangen wollen. Weil’s vom Wesentlichen ablenkt? Haha! Jeder Eckball wird von irgendeinem Stuckateurbetrieb präsentiert, warum auch immer. Weil’s das Spiel unterbricht? Ja mei. Die meisten Spiele können ein bisschen Unterhaltung gut vertragen.

Flitzer werden inzwischen aus den Fernsehbildern herausgeschnitten. Sie sind unsichtbar gemacht worden, nach alter britischer Tradition. Die reicht bis ins elfte Jahrhundert zurück: Leofric von Coventry presste sein Land aus. Seine Frau, Lady Govina, bat ihn inständig, die Abgaben zu reduzieren. Er nannte eine Bedingung: Sie müsse einmal nackt durch die Straßen der Stadt reiten. Sie schwang sich aus den Kleidern auf das Pferd und ritt die Runde, während alle Untertanen die Gardinen ihrer Fenster zuzogen. Alle außer dem Schneider Thomas, der aus dem Fenster gaffte und daraufhin von Gott mit Blindheit geschlagen wurde: In die Geschichte ging er ein als Peeping Tom.

Flitzer geben häufig diesen einen Grund für ihren Lauf an: bierselige Stadionwetten. Der Spieltrieb verführt sie, und das geht halt nicht: Das Publikum hat seine Rolle, und die darf es nicht verlassen, sonst verdirbt das Produkt. Es gehört eingehegt und zivilisiert. Aber das Publikum wehrt sich: Dank gofundme werden inzwischen Flitzer-Strafen solidarisch beglichen, manchmal springt noch was raus für den Einzelnen. Das ist doch wahrer Fußballromantismus: Der Zuschauer holt sich das Feld zurück und reklamiert seinen Platz, mit nichts als seinem nackten Arsch, an dem ihn alle lecken können. So geht Schönheit.

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