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Frederic Valin Helden der BewegungLasse Sobiech, der Clownmit den riesigen Schuhenund dem Kämpferherz

Eigentlich hätte er gar nicht spielen sollen. Er hatte Schmerzen am Beckenkamm, Trainingspause, aufsteigende Magensäure bei den Verantwortlichen auf St. Pauli. Aber er hat sich durchgebissen, wie er sich halt immer durchgebissen hat; Lasse Sobiech.

Es ging gegen Bochum, letztes Spiel vor der Winterpause. Die Saison läuft für St. Pauli ja eher wie ein Ritt auf dem Rasiermesser. Acht Spiele lang konnte man nicht gewinnen, von den letzten drei Spielen hat man zwei auf eine Art verloren, die kaum Fragen offen lässt: 0:4 gegen Fürth, 0:5 ­gegen Arminia Bielefeld.

Unter den fußballerischen Phänotypen ist er auch jener des kompromisslosen Kampfschweins, des Felsens in der Brandung; einer – wie es auf Dorfplätzen und Stehrängen heißt –, den jede Mannschaft braucht. Es sind dies die Eigenschaften, die ihn auszeichnen: Opferbereitschaft, Wille, Kampf, Grimm und Entschlossenheit. Man könnte meinen, in solchen – Fußballsprech, Wim-Thoelke-Style – Abwehrrecken spiegle sich der untergegangene Typus des heroischen Kriegers, der sich unter großen Opfern in die Schlacht wirft, als gebe es einen Lorbeerkranz zu gewinnen. Das ist ein Atavismus, der Beweis dafür, dass Fußball nur eine zivilisierte, sublimierte Form der Feldschlacht ist.

Und tatsächlich hat auch jeder Fußballfan einen solchen Typen gern in der eigenen Mannschaft, aber nicht unbedingt gern im eigenen Umfeld. Die Eigenschaften, die man ihm zuschreibt und die ihn zu einem solchen Gewinn machen – Verbissenheit, Halsstarrigkeit, Durchhaltevermögen, das Streitbare –, könnten ihn gleichzeitig zu einem sehr unangenehmen Schrebergartennachbarn machen. Deswegen werden diese „Türme in der Schlacht“ (noch einmal 80er-Jahre-Fußballsprech) zwar im Spiel selbst zu Kriegern, präsentieren sich privat aber als die nettesten, bodenständigsten Menschen. Die bellizistische Attitüde, die von ihnen im Spiel erwartet wird, ist jenseits des Feldes nicht akzeptabel; deswegen wird einem Sokratis so mancher kleine Tritt und Schubser verziehen, während man bei Emir Spahic immer vermutete, dem würde eine Hormontherapie mal ganz guttun. Diese Fußballtypen, sie müssen Schafe in Wolfspelzen sein.

Bochum war die ersten Minuten die klar bessere Mannschaft; die schnellen, ballstarken Außen Sidney Sam und vor allem Robbie Kruse überliefen immer wieder ihre Gegen­spieler, die Köpfe hingen, die Zungen auch. Es war in dieser Phase Lasse Sobiech, der eine sinnlose Grätsche an der eigenen Torauslinie setzte, obwohl kein Gegenspieler weit und breit war. In der Folge rang er einmal Robbie Kruse nieder, der fortan die Mitte mied, und drosch nach einer halben Stunde, nach einem Eckball den Ball ins Bochumer Tor. Beinah hätte er direkt danach – natürlich nach einem Standard – das zweite Tor eingetütet, aber das wäre dann doch übertrieben gewesen; man muss ja auch nicht alles selber machen, das wäre nur eitel und selbstverliebt. St. Pauli gewann am Ende 2:1, und man kann sicher sein, dass es ohne Lasse Sobiech anders gekommen wäre.

Wenn im Zirkus nichts mehr geht, ein Messer falsch geflogen ist oder ein Elefant durchgedreht, schickt man die Clowns in die Manege, die – tollpatschig und unbedarft – die Situation retten. Ihre Pirouetten sind ohne Anmut, ihre Tricks von rüdem Charme; ihre Pointen sind mit dem Trötehammer geschmiedet. Gerade deswegen liebt sie das Publikum; da ist nichts Ziseliertes, nichts Feinsinniges. Sie holen die Kohlen aus dem Feuer, wenn es hinten und vorne brennt. Man assoziiert mit „Clown“ eher extravagante Spieler, Aubameyang zum Beispiel, Marcelinho. Das ist ein Missverständnis; die Clowns sind es, die den Zirkus zusammenhalten und zur allerhöchsten Not auch selbst einmal aufs Seil steigen mit ihren riesigen Schuhen. Wie Lasse Sobiech.

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