Frauenhäuser im Berliner Doppelhaushalt: Fatales Misstrauen
Es rumort gewaltig: Das Land Berlin wird zwar mehr Geld für Opfer häuslicher Gewalt ausgeben. Aber völlig an der Praxis vorbei, so die Akteurinnen.
Zugegeben: Im folgenden, politisch heiß umkämpften Konflikt verliert man leicht den Überblick. Und vergisst dabei, dass es um Frauen in absoluten Notlagen geht. Um Frauen und Kinder, die von ihrem Partner und Vater geschlagen und gedemütigt werden und die nicht morgen oder übermorgen Hilfe und Obdach brauchen, sondern sofort.
Die Schutzplätze für diese Frauen reichen bei Weitem nicht aus, sagen Akteurinnen der Frauenselbsthilfe. Sie sagen es seit Jahren. In der zuständigen Senatsverwaltung für Gleichstellung unter Senatorin Dilek Kalayci (SPD) sieht man das Kapazitätsproblem dagegen nicht annähernd so dramatisch und stellt die Daten der Frauenhäuser zu Ablehnungen wegen Platzmangel in Frage. Deshalb steht im neuen Doppelhaushalt nicht die Finanzierung der geforderten Anzahl an Frauenhausplätzen, sondern einer umstrittenen Clearingstelle.
Die Senatsverwaltung verweist auf eine Auslastung der Frauenhäuser unter 90 Prozent. Dass die Einrichtungen keine hundertprozentige Auslastung haben und trotzdem fast immer voll belegt sind, hat nach Auskunft der Frauenhäuser verschiedene Gründe: Etwa, dass Mehrbettzimmer nicht mit mehreren Familien belegt werden können. Da es sich bei Frauenhäusern um eine Versorgung in Notsituationen handelt, dürfte eine andere Frage ohnehin viel entscheidender sein: Wie viele Frauen müssen aus Kapazitätsgründen abgewiesen werden?
Notfall-Hotline: Kein Platz für die Hälfte der Hilfesuchenden
Der Senatsverwaltung werden dazu nach eigenen Angaben monatlich Daten der BIG-Hotline als zentrale telefonische Anlaufstelle für gewaltbetroffene Frauen geliefert. „In diesem Jahr konnten wir in keinem einzigen Monat mehr als die Hälfte der hilfesuchenden Frauen auf einen freien Schutzplatz vermitteln, im Oktober waren es sogar weniger als 20 Prozent“, sagt Doris Felbinger von BIG. Erfasst würden dabei die Erstanruferinnen, die nicht vermittelt werden können.
Der Umfang: 31.084.490.500 und 32.348.881.800. So viele Euros umfasst der Etat des Landes Berlin für das nächste und das übernächste Jahr. Das sind rund 3 Prozent mehr als im aktuellen Haushaltsjahr. Den größten Posten machen mit rund 17 Milliarden Euro jährlich die Sachausgaben aus, also alles vom Bleistift bis zur Kinderbetreuung und sonstigen Sozialausgaben. Gut 10 Milliarden, also knapp ein Drittel, sind für das Personal des Landes fällig.
Die Investitionen: Für die Investitionen – etwa Schulen ausbauen, Brücken reparieren, Wohnungen kaufen – sind im nächsten Jahr 2,4 Milliarden Euro vorgesehen, im übernächsten sogar rund 2,8 Milliarden. Das ist rund eine Milliarde mehr als noch 2018 und damit eine Verdoppelung der Investitionen binnen drei Jahren.
Im Einzelnen: Im Ranking der elf Senatsverwaltungen hat das Ressort für Bildung, Jugend und Familie mit über 4,5 Milliarden Euro den größten Einzelhaushalt, gefolgt vom Regierenden Bürgermeister mit dem bei ihm angesiedelten Wissenschaftsressort (mit den Hochschulen und der Charité) und der Innen- und Sportverwaltung mit jeweils 2,5 bis 2,6 Milliarden Euro. Am 12. Dezember will das Parlament den Haushalt final beschließen. (sta)
Aus der Senatsverwaltung heißt es zu den Daten: „Diese Angaben sind für uns nicht überprüfbar.“
Die Frauenhäuser fordern eine Aufstockung der Frauenhausplätze entsprechend der europäischen Istanbul-Konvention, die 2018 in Deutschland in Kraft getreten ist. Rund 940 sofort zugängliche, anonyme Schutzplätze für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder wären dann der aktuelle Richtwert für Berlin. Frauenhausplätze gibt es derzeit nur 301, 2021 sollen es nach den Plänen im Doppelhaushalt 371 sein. Die Senatsverwaltung verweist stets auf eine viel höhere Zahl von verfügbaren Schutzplätzen, nämlich aktuell 729 und geplanten 827 bis zum Jahr 2021. Sie rechnet aber neben den Frauenhäusern auch Schutzwohnungen mit ein, die laut Praxis gar nicht sofort, sondern beispielsweise erst nach Klärung der Sozialbezüge der Frau zugänglich sind.
Es darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass auch längst nicht alle Frauenhausplätze sofort zugänglich im Sinne der Istanbul-Konvention sind – etwa weil sie nicht barrierefrei sind oder eine Nachtbereitschaft fehlt. Insofern könnte das neue Vorzeigeprojekt der Senatsverwaltung, eine rund um die Uhr geöffnete Clearingstelle als zentrale Anlaufstelle für schutzsuchende Frauen mit 15 Kurzzeitplätzen zur sofortigen Aufnahme, eine sinnvolle Neuerung sein. Von dort sollen die Frauen nach wenigen Tagen an andere Schutzplätze weitervermittelt werden. 550.000 Euro sind dafür im Doppelhaushalt eingestellt.
Die Clearingstelle sei angesichts des Bedarfs völlig unterdimensioniert und kann das Problem der fehlenden Frauenhauskapazitäten nicht lösen, heißt es dazu von den Vertreterinnen der Frauenhilfeprojekte. Sie fordern die gemeinsame Erarbeitung eines tragfähigen Gesamtkonzeptes. Die Senatsverwaltung aber will erst einmal abwarten, welcher tatsächliche Bedarf an Schutzplätzen sich aus der Arbeit der Clearingstelle ergibt.
Nun ist es gewiss nicht ungewöhnlich, dass Praxis und Verwaltung einen Bedarf in Nuancen unterschiedlich bewerten. Aber in dieser Dimension?
Für Frauen, die jetzt Schutz suchen, sagt Stefanie Föhring vom Team des 2. Autonomen Frauenhauses, sei das Misstrauen jedenfalls fatal.
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