Frauen: Lohnungerechtigkeit nimmt zu
Die EU bilanziert, dass das "geschlechtsspezifische Lohngefälle" zurückgeht - nicht so in Deutschland.
BRÜSSEL taz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" - der Grundsatz stand schon vor 50 Jahren in den Römischen Verträgen. Doch noch immer verdienen Frauen in der EU im Schnitt 15 Prozent weniger pro Stunde als Männer, obwohl ihre Schulabschlüsse besser sind.
Seit 1995 ist das "geschlechtsspezifische Lohngefälle" nur um zwei Prozent zurückgegangen. In Deutschland hat es im gleichen Zeitraum sogar zugenommen: von 21 auf 22 Prozent. Der für Arbeit und Gleichstellung zuständige EU-Kommissar Vladimir Spidla, der die Zahlen am Mittwoch in Brüssel vorstellte, zog eine gemischte Bilanz. "Direkte Lohndiskriminierung", also ungleicher Lohn für gleiche Arbeit, sei in der EU fast ganz verschwunden. In Bereichen, wo überwiegend Frauen arbeiten, werde aber ein deutlich niedrigerer Lohn gezahlt als in Männerbranchen - auch wenn die Arbeit gleichwertig ist.
Spidla setzt nun darauf, dass die EU-Länder gute Ideen voneinander abgucken. Schweden zum Beispiel, wo das Lohngefälle um die Jahrtausendwende stark gestiegen war, hat ein neues Gesetz. Danach müssen Unternehmen jährlich begründen, warum gleichwertige Jobs unterschiedlich bezahlt werden. Andere Länder vergeben Gleichstellungssiegel oder verpflichten die Tarifpartner, das Thema stärker zu beachten. Wenn das nichts hilft, will die Kommission 2008 die geltenden Gesetze unter die Lupe nehmen und eventuell an europäisches Recht anpassen. "Beim Vaterschaftsurlaub kann man eine Gesetzesinitiative nicht ausschließen", sagte Spidla.
Denn Frauen arbeiten nicht nur in schlechter bezahlten Berufsfeldern. Sie sammeln außerdem weniger Arbeitsjahre an und verpassen in der Kinderphase Aufstiegschancen. Nicht immer zeigt Lohngefälle, ob ein Land eine gute Gleichstellungspolitik macht. In Deutschland kommt die hohe Differenz im Stundenlohn dadurch zustande, dass viele Frauen in schlecht bezahlten Teilzeitjobs arbeiten. In Zypern arbeiten die meisten Frauen in Vollzeitjobs, aber in typischen Frauenberufen. Dort ist die Lohndifferenz mit 25 Prozent noch höher.
Malta wiederum bildet mit 4 Prozent Lohngefälle das vorbildliche Schlusslicht in Europa. Der Grund ist weniger vorbildlich: Malta hat die geringste Frauenbeschäftigungsquote der EU. Nur gut ausgebildete und kinderlose Frauen arbeiten. Kommissar Spidla warnte daher davor, aus den Statistiken voreilige Schlüsse zu ziehen.
Nach Branchen betrachtet, gibt es im Finanzsektor die größten Lohnunterschiede. Dort sind viele Frauen als Sachbearbeiterinnen beschäftigt, im Management aber sitzen Männer. Genau umgekehrt sieht es in der Baubranche aus: Dort machen Männer schlecht bezahlte Knochenarbeit, während Frauen in der Verwaltung arbeiten und mehr verdienen. Es dürfte die einzige Branche sein, in der es ein für Frauen positives Lohngefälle gibt. Fast ausgeglichen ist die Situation bei der Beschäftigung im öffentlichen Sektor, wo die Lohnskala keine große Bandbreite hat und Frauen besser gefördert werden.
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