Frauen in der Medizin: Als aus Ärzten Ärzt*innen wurden
Frauen hatten in der Medizin lange nichts zu sagen. Damit brach Franziska Tiburtius, als sie 1877 eine Praxis von Frauen für Frauen eröffnete.
A ls Franziska Tiburtius 1871 das erste Mal den Präpariersaal betritt, schreien ihre männlichen Kommilitonen sie wütend an. Eine Frau, die Ärztin werden will – für viele damals ein Skandal. Doch ermutigt durch ihren Bruder, der selbst Arzt war, beginnt Tiburtius mit dem Medizinstudium und schlägt damit einen Weg ein, der Folgen weit über sie selbst hinaus haben sollte. An die Schreie der Männer im Präpariersaal erinnert sie sich in ihren autobiografischen Notizen.
1871 war die Universität Zürich die einzige in Europa, an der Frauen Medizin studieren durften. Tiburtius, die eigentlich aus Stralsund kam, zog extra dorthin. Unter Mitstudenten herrschte die Vorstellung, Frauen hätten ein kleineres, weniger leistungsfähiges Gehirn. Außerdem würde zu viel Wissen die Gebärmutter schädigen. Tiburtius machte 1876 ihren Doktor mit der Note „sehr gut“.
Zunächst arbeitet die junge Ärztin in der Zahnarztpraxis ihrer Schwägerin, die dank eines Studiums in Amerika die erste approbierte Zahnärztin Deutschlands werden konnte. Doch 1877 wagt sie den Schritt und gründet mit Emilie Lehmus, die sie aus dem Studium in Zürich kannte, ihre eigene Klinik in Berlin. Tiburtius und Lehmus durften sich aufgrund ihres Abschlusses in der Schweiz offiziell nicht als Ärztinnen bezeichnen. Trotzdem waren sie erfolgreich.
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Ein Ort, an dem Frauen ernst genommen werden
Während die etablierte Medizin sich fast ausschließlich auf Männer fokussierte, blieben Frauen und Kinder oft medizinisch unterversorgt. Genau dort setzten die Ärztinnen an. Sie boten Frauen einen sicheren Ort und nahmen ihre Beschwerden ernst. Und sie sorgten über die Jahre dafür, dass Frauenheilkunde als medizinisches Fach etabliert wurde.
Frauen galten als schwach und empfindlich, so wurden Krankheiten oft als Übertreibung oder Hysterie abgetan. Viele Frauen arbeiteten zudem unter schwierigen Bedingungen in Fabriken oder als Dienstmädchen und hatten nur wenig Geld. Diesen Frauen bot Franziska Tiburtius kostenlose Behandlungen an. Aus dem Projekt der zwei Ärztinnen wurde schließlich die „Klinik weiblicher Ärzte“, ein gut ausgestattetes kleines Krankenhaus – und das erste frauengeführte in Deutschland.
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