Frauen in Niedriglohn-Jobs: Die tägliche Hetze in der Krise
Während gut bezahlte Facharbeiter in Kurzarbeit sind, behalten viele Frauen ihre Jobs. Weil sie in Niedriglohnberufen tätig sind - wie Pflegerin Daniela Friedrich.
Daniela Friedrich* hat keine Zeit. Auf ihrer Liste stehen noch vier Patienten und die Gesundheitspflegerin ist spät dran. Gleich setzt sie sich in den alten Suzuki, der dem Berliner Pflegedienst gehört, bei dem sie arbeitet, und fährt zum nächsten Termin. An jeder roten Ampel flucht sie. "Ich bin immer nur gehetzt", sagt die 46-Jährige.
Glaubt man einigen WirtschaftsexpertInnen und PolitikerInnen, müsste es Daniela Friedrich gut gehen. Diverse Fachleute haben herausgefunden, dass die Wirtschaftskrise eine Männerkrise sei und Frauen, insbesondere die aus dem Osten, davon profitieren. Flugs übernahm Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) die derzeit in den USA häufig benutze Formulierung, die Krise sei "he-cession statt re-cession".
Ganz falsch ist das nicht. Ostdeutschland erweist sich als krisenfester als der Westen, wie es im Jahresbericht der Regierung zur Deutschen Einheit heißt. Die Ost-Länder haben in den vergangenen drei Jahren wirtschaftlich aufgeholt, hat die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gerade in ihrer Bundesländerrankingliste festgestellt.
Tatsächlich wurden und werden vor allem (westdeutsche) Männer in der Automobilbranche und Schwerindustrie arbeitslos oder befinden sich jetzt in Kurzarbeit. Frauen hingegen behalten ihre Jobs und steigen sogar in neue Beschäftigungsverhältnisse ein. Die Frage dabei ist, um welche Jobs es sich handelt.
Laut Bundesagentur für Arbeit waren die im August 2009 am stärksten nachgefragten Berufe unter anderen AltenpflegerInnen, SozialarbeiterInnen, Krankenschwestern, Sprechstundenhilfen - alles typische Frauenberufe, schlecht bezahlt und prädestiniert für Teilzeit.
Nach Angaben des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) waren Mitte 2009 rund 12,6 Millionen Frauen in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt, ein Drittel davon in Teilzeit. Von den 15 Millionen versicherungspflichtigen Männern hatten nur 5,5 Prozent einen Teilzeitjob. "Dieser Trend setzt sich weiter fort", sagt IWH-Arbeitsmarktexperte Hans-Ulrich Brautzsch.
Daniela Friedrich hat zwar einen Vollzeitjob, aber glücklich ist sie damit nicht. Sie sagt: "Ich verdiene 1.200 Euro Netto, für eine 40-Stunden-Woche. Überstunden kriege ich nicht bezahlt, weil mein Arbeitgeber auf den Zeitplan pocht." Ohne das Gehalt ihres Mannes würde es nicht gehen, sagt die Mutter zweier Söhne. Als Gewinnerin der Krise sieht sie sich nicht: "Es ist einfach genauso schlecht wie immer."
Theresia Jonczyk ist Diplommedizinpädagogin und bildet in Berlin seit 30 Jahren AltenpflegerInnen aus. In den Jahren nach dem Mauerfall, sagt sie, stieg kontinuierlich die Zahl von UmschülerInnen, die aus anderen Berufen kommen, unter ihnen sind auch viele Akademikerinnen. "Germanistinnen sind dabei, Modedesignerinnen, sogar eine Vertriebschefin hatte sich mal beworben", sagt die 59-Jährige. Warum? Frauen seien pragmatisch, sagt Theresia Jonczyk: Altenpflegerin sei ein Beruf mit Zukunft und krisensicher, denn Alte werde es immer geben.
Früher waren ihre SchülerInnen häufig über 50 Jahre alt, sagt Theresia Jonczyk. Jetzt sind sie jung und kommen direkt nach der Schule. Es sind fast ausschließlich Mädchen. Jungs interessierten sich nicht für Pflege und alte Menschen, es sei denn, sie könnten rasch Chefs werden. Frauen zögen die "Arbeit am Menschen" vor, sagt Jonczyk.
Möglicherweise wird das weibliche Jobkrisenwunder auch angeheizt durch Thesen wie diese: Frauen machen sich inzwischen häufiger selbstständig. Auch das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Unter allen NeugründerInnen waren laut Gründermonitor 2009 der Bundesweiten Gründerinnenagentur 41 Prozent Frauen. Und von den abhängig beschäftigten Frauen sind 42 Prozent selbstständig. Aber die meisten dieser Frauen sehen in der Freiberuflichkeit nicht das Ideal ihrer Berufsausübung, sondern nur eine Alternative zur Arbeitslosigkeit.
*Name der Redaktion bekannt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen