: Frau Schocken und die Bücher
■ „Bürgerpreis“ für unterdrückte, ausgegrenzte Literatur in Bremerhaven gestiftet
Von 1991 an wird in Bremerhaven ein neuer Literaturpreis verliehen werden, alle zwei Jahre jeweils am 6. Mai. Der mit 10.000 Mark dotierte Preis soll an den Tag erinnern, an dem 1933 die Nazis auf dem Marktplatz in Bremerhaven unter öffentlichem Beifall Bücher verbrannten. Der Preis versteht sich als „Bürgerpreis“, die Preissumme wird von BürgerInnen der Stadt aufgebracht.
Warum Jeanette-Schocken-Preis? Jeanette Schocken wurde im November 1941 zusammen mit den
letzten in Bremerhaven noch lebenden Juden und Jüdinnen nach Minsk deportiert und kam dort ums Leben. Viele von ihren SchicksalsgenossInnen hatte die Frau des 1934 verstorbenen Bremerhavener Kaufhausbesitzers Julius Schocken nach der Reichspogromnacht in ihrer Villa aufgenommen. Weil ihre älteste Tochter schwerkrank in einem Sanatorium lebte, entschloß sich Jeanette Schocken, auf die Flucht ins Ausland zu verzichten.
Ihr Mann Julius Schocken war der Bruder des als Literatur -Mä
zen bekannten Chefs der reichsweiten Schocken-Kaufhaus -Kette, Salman Schocken, der 1931 in Berlin den Schocken -Verlag gründete. Bis zur Zwangsschließung 1938 konnte der Verlag jüdische AutorInnen publizieren, darunter die Werke Martin Bubers und die ersten Bände einer geplanten Gesamtausgabe Kafkas.
Der Jeanette-Schocken-Preis versteht sich - laut Satzung als „Bekenntnis zur verbotenen und verbrannten, zur unterdrückten und ausgegrenzten Literatur“. Er soll für literarische Werke verliehen werden, die diesem Bekenntnis thematisch verpflichtet sind. Mit der Preis-Definition werde die besondere Geschichte Bremerhavens als „Drehscheibe der Emigration“ in Erinnerung gebracht, sagt der Bremerhavener
Rechtsanwalt und Stadthistoriker Manfred Ernst. „Bremerhaven hat an dem Weg gelegen, der seit 1933 jährlich für zehn-bis fünfzehntausend Verfolgte in die Emigration führte.“
Erste Aktivität des „Gründerkomitees Jeanette-Schocken -Preis“ ist die noch bis zum 27. Mai in der Bremerhavener Kunsthalle gezeigte Dokumentation zur Geschichte des Malik -Verlages (die taz berichtete). In diesem Rahmen und am selben Ort, in der Kunsthalle, spricht heute abend der Nestor der deutschen Literaturhistoriker, der 83-jährige Tübinger Emeritus Hans Mayer, über seine Arbeit in den und seine Sicht auf die zwanziger und dreißiger Jahre. h
(zu Hans Mayer lesen sie bitte den Kasten nebenan)
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