„Epochenunterricht“ in der Waldorfschule: Didaktisch wertvoll oder doch nur autoritär?
In Waldorfschulen wird in „Epochen“ gelehrt: über Wochen ein Fach intensiv, dann wochenlang gar nicht. Ist das sinnvoll?
W enn ich Texte zur Waldorfpädagogik lese, bin ich oft fassungslos, weil das Gelesene so viel Sinn ergibt – ich es aber nie so gesehen habe. Zuletzt beim Thema „Epochenunterricht“.
Der langjährige Waldorflehrer Helmut Eller schreibt in seinem Buch „Der Klassenlehrer an der Waldorfschule“, dass es den „Epochenunterricht“ auch deshalb gebe, weil eine einzelne Klassenlehrkraft sonst nicht acht Jahre lang alle Hauptfächer unterrichten könne. Man müsse sich in so viele verschiedene Wissensgebiete einarbeiten, das würde durch das Prinzip des „Epochenunterrichts“ möglich.
Mir wurde immer erzählt, das Lernen in „Epochen“ sei eine didaktische Errungenschaft. Jetzt scheint mir, dass es wichtiger ist, alles Wissen durch die eine „geliebte Autorität“ hindurch in die Kinder fließen zu lassen (daher auch der Verzicht auf Schulbücher), als fachlich guten Unterricht zu bieten.
Bloß nicht krank werden
„Epochenunterricht“ bedeutet, nicht jede Woche alle „Hauptfächer“ zu haben, sondern jeweils 3 bis 4 Wochen jeden Morgen von 8 bis 9.45 Uhr dasselbe Fach. Nach vier Wochen Prozentrechnung kommen zum Beispiel drei Wochen Geschichte des Mittelalters, dann Ferien, dann Wärmelehre … Ab 10 Uhr hatten wir einen normalen Stundenplan mit Fächern wie Fremdsprachen, Religion, Eurythmie oder Handarbeit.
Besonders in den höheren Klassen habe ich mich gerne eine „Epoche“ lang in ein Thema vertieft – und dann in ein neues. Man durfte halt nur nicht krank werden, dann verpasste man schnell die Hälfte aller Biostunden für das Schuljahr. Zudem ist man bis zur neunten Klasse enorm abhängig von dieser einen Klassenlehrkraft.
2014 gab es in Hamburg-Wilhelmsburg den Versuch einer „staatlichen Waldorfschule“. Nach nur zwei Jahren untersagte der Bund der freien Waldorfschulen die Nutzung der Marke „Waldorf“. Die Zusammenarbeit war auch am Konzept „Epochenunterricht“ gescheitert.
Inzwischen wirkt es absurd
Der nichtanthroposophische Schulleiter sagte: „Wenn 75 Prozent unserer Schüler Deutsch als Fremdsprache haben, ist es schlecht, wenn sie nur manchmal Deutsch haben.“ Während ein Vorstand des Bundes der Freien Waldorfschulen damals in einem Interview sagte, der Epochenunterricht sei „eine Art pädagogisches Heiligtum“.
Das Problem wird deutlicher, wenn man sich die Lehrpläne anschaut. Die Hamburger Regelstundentafel weist in der 2. Klasse sechs Wochenstunden Deutsch und fünf Mathematik aus. Vermutlich üben die meisten Grundschulkinder täglich Mathe und Deutsch. An Waldorfschulen sind in der 2. Klasse meist drei Schreib- und drei Rechenepochen angesetzt.
Eine „Epoche“ entspricht grob einer Wochenstunde. Waldorfkinder haben also in diesen Grundlagen nur etwa halb so viel Unterricht. Zudem wird eine Automatisierung beim Lesen, Schreiben und Rechnen erschwert, wenn Woche zwischen einer Epoche und der nächsten liegen. Dass es an Waldorfschulen gelingt, die Grundlagen zu vermitteln, dürfte daran liegen, dass die meisten Waldorffamilien bildungsnah sind und nur 3 bis 4 Prozent der Kinder Migrationshintergrund haben.
Zumindest für die Basisfertigkeiten kommt mir „Epochenunterricht“ inzwischen absurd vor. Wenn Erwachsene Programmieren, Klavierspielen oder Japanisch lernen wollen, würde wohl niemand raten: Geh lieber nicht zu einer Expert*in, übe immer vier Wochen täglich und dann mach wochenlang Pause.
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