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Franzosen gegen Roma-AbschiebungSolidarität mit den "Sündenböcken"

In 140 französischen Städten protestierten am Wochenende über hunderttausend Menschen gegen die Abschiebung der Roma. Der Innenminister zeigte sich unbeeindruckt.

Flagge zeigen gegen Antiziganismus: Demontrationen in Frankreich gegen die Abschiebung von Roma. Bild: dpa

PARIS taz | "Wir alle sind Roma" war auf einem Schild einer Demonstrantin an der Kundgebung in Paris zu lesen. Andere trugen aus Solidarität ein Dreieck mit der Aufschrift "Roma" oder "Zigeuner" auf der Brust, das wie ein Judenstern an die finstersten Zeiten der Rassenverfolgung erinnern sollte.

Nein, übertrieben oder dramatisierend finde sie diesen Vergleich überhaupt nicht, denn es gelte, den Anfängen zu wehren, sagt Chantal, die außer dem Etikett "Roma" auch mehrere Aufkleber mit Slogans gegen die Abschiebungen und gegen die Repression auf ihrem T-Shirt hat: "In den 30er Jahren haben die Leute nicht geahnt, wie das enden würde!" Unter den Prominenten, die in Paris gegen die Politik der heutigen Staatsführung protestierten, befand sich auch Danielle Mitterrand, die 85-jährige Gattin des früheren sozialistischen Präsidenten. Auch sie meint: "In meinem Alter hat man Perioden der Geschichte miterlebt, die es notwendig erscheinen lassen, wachsam zu sein." Heute sind es die Roma, die von einer repressiven Sicherheitspolitik zum Inbegriff einer angeblichen Gefahr für die Ordnung und damit zu den Sündenböcken einer verängstigten Gesellschaft erklärt werden.

Neben Danielle Mitterrand marschierte der Philosoph Edgar Morin mit: "Dass dieses seit so vielen Jahren herumirrende und wie die Juden verfolgte Volk der Roma öffentlich zum Feind erklärt wird, fordert mich in ultimativster Weise heraus." Der Schriftsteller Patrick Chamoiseau habe zu Recht von einem "ethischen Kollaps" der jetzigen Staatsführung gesprochen. In 140 Städten in ganz Frankreich folgten am Samstag mehr als hunderttausend Menschen dem Appell von Antirassismus- und Menschenrechtsorganisationen, Linksparteien und Gewerkschaften gegen Nicolas Sarkozys "Politik der Anprangerung". Rund fünfzig Organisationen hatten zu der Aktion aufgerufen.

Sie wollen die laufende Verschärfung der Sicherheitspolitik nicht unwidersprochen lassen, die derzeit in einem Projekt der Aberkennung der Nationalität für eingebürgerte Straftäter und vor allem in Polizeiaktionen gegen Roma-Familien und deren Abschiebung nach Rumänien und Bulgarien gipfelt. "Nein, nein, nein! Nicht in unserem Namen", riefen die Kundgebungsteilnehmer darum immer wieder in Sprechchören.

Der Ausländerfeindlichkeit stellen sie die Grundrechte und die Devise der französischen Republik entgegen: "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit". In Paris nahmen rund 50.000 an der Demonstration teil.

Bemerkenswert war dabei auch die Präsenz von Organisationen wie Amnesty International oder Médecins du Monde sowie von Schwulen- und Lesbengruppen. Mehrere farbenprächtige Gruppen von Roma und Vertretern anderer Fahrender sorgten mit ihrer Musik dafür, dass der Umzug nicht nur gravierend ernst aussah.

Am Vormittag hatte Jane Birkin, begleitet von anderen Prominenten, vor dem Ministerium für Immigration, Integration und nationale Identität aus Protest gegen die zunehmend ausländerfeindliche Politik das Chanson "Les Petits Papiers" ihres verstorbene Gatten Serge Gainsbourg gesungen.

Der für Sicherheitsfragen zuständige Sprecher der Regierungspartei UMP, Eric Ciotti, verurteilte die Kundgebungen als "sträfliche Sympathie für Leute, die die Gesetze der Republik mit Füßen treten." Unbeeindruckt von Protesten meinte Innenminister Brice Hortefeux, die Beteiligung müsse "eine Enttäuschung sein für die Organisatoren". Er werde jedenfalls seinen "Kampf gegen die Delinquenz" im Rahmen der vom Präsidenten in Grenoble Ende Juli definierten Politik entschlossen fortsetzen.

"Wir haben gewonnen, Sarkozys Taktik hat versagt", hält dem Jean-Paul Dubois, der Vorsitzende der französischen Menschenrechtsliga LDH, gegenüber, der seinerseits weitere Protestaktionen verspricht.

Die französischen Behörden haben seit Jahresbeginn rund 8.000 Roma in deren Heimatländer Rumänien und Bulgarien abgeschoben. Im Juli hatte die Regierung in Paris die Gangart dann noch einmal verschärft und illegale Roma-Lager aufgelöst. Die Abschiebungen stoßen auch international auf teils scharfe Kritik.

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10 Kommentare

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  • P
    paramisa

    @zum Vergleich

    danke für deine infos. aber: sorkozy ist doch nicht verantwortlich für die schon vorhandene gesetzgebung. im übrigen erfahren auch die schon seit jahrhunderten in frankreich lebenden calé (verwandt mit den deutschen sinti) ausgrenzung und diskriminierung. so haben sich etwa eigentümer im wohnungsbau ausgedacht, um parkplätze herum gräben auszuheben, so dass ein auffahren mit transportern, wohnmobilen etc. für die ambulant gewerbetreibenden nicht möglich ist. alles legal und auf die "eigene" bevölkerung der calé abzielend.

     

    der protest ist ein wichtiges signal, hoffentlich weitet er sich noch aus - bevor's die ersten toten nach gewalttätigen übergriffen gibt.

     

    du schriebst:

    "(...)inklusiver traditioneller Festivals. Das sind alles franzoesische Staatsbuerger, niemand will sie wegschicken. "

     

    ja, bringt ja auch ordentlich geld in die gemeindekasse. bspw. das mai-fest in les saintes maries de la mer. dazu gab's mal eine interessante reiserportage der taz im jahr 2006. im volltext-archiv ist davon noch soviel zu finden:

     

    Titel: "Zigeuner schaun"

    Subtitle: Les Saintes-Maries-de-la-Mer zieht durch den Ruf als "Zigeunerhochburg" zehntausende Touristen an - die Roma, die sich dort treffen, erwartet alles andere als Gastfreundlichkeit.

     

    noch fragen?

  • B
    Ben

    Schön das die Kommentare hier noch menschlich sind, unter anderen Artikeln zu dem Thema stehen Kommentare die einen glauben lassen das die Menschlichkeit sich, mit einem One-Way-Ticket in der Tasche, herzlichst verabschiedet hat...

     

    Deutschland hat sich mit der Abschiebung der Roma recht geschickt befasst, schön bürokratisch eben. Etappenweise Abschiebung und noch ein paar andere Völkergruppen dazugemischt, sollen wohl dennoch alle Roma das Land verlassen...

     

    Wenn man das Herz hat Flüchtlinge aufzunehmen, sollte man meiner Ansicht aber auch darauf achten das die Flüchtlinge nicht einfach wieder rausgeschmissen werden, sondern differenziert abwägen ob eine Rückkehr wirklich sinnvoll oder eine weitere Bleibe in welcher Form auch immer vorzuziehen ist. Ich hoffe das Deutschland und auch kein anderes Land auf die Ideen wie Frankreich kommt, noch viel mehr hoffe ich das Deutschland die Bevölkerung sich dagegen erhebt - sollte es dennoch dazu kommen.

  • KT
    Kar Toffel

    Paris, die Landeshauptstadt hat ca. 12 Mio Menschen als Einwohner. 50.000 protestieren!

     

    Die Gesamtanzahl der Teilnehmer wird auf ca. 150.000 Menschen geschätzt - demonstriert wurde in 140 Städten. Pro Stadt demonstrierten somit ca. 1.000 Menschen. Frankreich hat ca. 62 Mio Einwohner.

     

    Ich fürchte - wie in Deutschland - macht sich da Rassismus breit und keiner merkt es....

  • ZV
    Zum Vergleich: Deutschland

    Ein paar Details de in dem Artikel fehlen:

     

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    Frankreich: jedes Dorf mit >5000 Einwohnern ist per Gesetz verpflichtet, kostenlose Stellplaetze fuer fahrendes Volk, incl. Roma, zur Verfuegung zu stellen. Das ist eine Selbstverstaendlichkeit und steht auch unter Sarkozy nicht zur Debatte.

     

    Deutschland: ?

     

    ----

     

    Frankreich: es gibt eine echte Bevoelkerungsgruppe von fahrendem Volk: > 150 000 Menschen, inklusiver traditioneller Festivals. Das sind alles franzoesische Staatsbuerger, niemand will sie wegschicken.

     

    Deutschland: ?

     

    -----

     

    Frankreich: hat von sich aus keine Roma-Deportation betrieben (was die Kollaboration nicht rechtfertigt)

     

    Deutschland: bekannt, Verantwortung fuer heute lebende Roma gezogen werden

     

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    Frankreich: Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung machen Demos, leben in offensichtlichen Lagern, und werden meist geduldet, oft eingebuergert und gelegentlich radikal rausgeschmissen (wie jetzt)

     

    Deutschland: Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung verstecken sich wie sie nur koennen. Werden sie entdeckt, werden sie natuerlich sofort radikal rausgeschmissen.

     

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    Mehr: http://fr.wikipedia.org/wiki/Gens_du_voyage

     

     

    ----

     

    Es wuerde helfen, wenn deutsche Medien, inkl der taz, anerkennen wuerden, dass Sarkozy zwar rechts der franzoesichen Linken, aber links von grossen Teilen der deutschen Linken steht. Wenn man ihn fuer zu rechts haelt, dann sollte man ein Wort darueber verlieren, was das ueber den Normalzustand in Deutschland aussagt. Aber vielleicht uebertreiben auch Teile der franzoesischen Linken etwas, von Deutschland aus betrachtet.

  • B
    BerlinMarcus

    Wer Arbeit (legale) hat uns sich selbst versorgen kann darf bleiben... sonst ist die Abschiebung okay!

  • N
    NaJa

    Warum sollte er auch beeindruckt sein?

    Es gibt ca 60.000.000 Franzosen. Davon sind ca 45.000.000 wahlberechtigt. Es waren ca 100.000 Demostranten. Das sind "stolze" 0,017 %. Also warum sollte er beeindruckt sein??

  • S
    sub

    Nicht vergessen:

    Deutschland will 10.000 Roma in den Kosovo abschieben! Das ist fast jeder zweite Roma in Deutschland! Die Hälfte davon sind Minderjährig, die übergroße Mehrzahl kann nur Deutsch sprechen und hat im Kosovo keine Kontakte.

     

    Wenn Frankreich 8.000 Roma abschiebt und Deutschland 10.000, wo bleibt da der Widerstand? Ich meine, richtiger Widerstand, nicht nur Demos. Das sind zusammen bereits knapp 10% aller aus dem Kosovo vertriebenen Roma!

    Wieso lässt die Menschenrechtskommission der EU das zu? Wieso solidarisiert sich kein Land, allen voran Israel?

     

    Die Roma müssen jetzt für alles herhalten und sind ein leichtes Ziel, weil sie wenig Einfluss oder Reichtum haben und nicht kollektiv organisert sind. Durch die EU geht eine Welle des Antiziganismus, die Schlimmes erahnen lässt..

     

    http://www.rp-online.de/politik/deutschland/10000-Roma-sollen-in-den-Kosovo-zurueckkehren_aid_769881.html

     

    http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/10000_roma_droht_die_abschiebung/back/764/

  • P
    P.Haller

    Da können wir uns hier in D. mal wieder eine ganz dicke Scheibe von abschneiden !!

    Aber warum muss uns immer die Bevölkerung von Frankreich erst vormachen wie Menschlichkeit aussieht ?? Haben die etwa ein Gen, welches die Deutschen nicht besitzen ??

  • V
    vic

    So etwas wie die Selektion und Abschiebung von Sinti und Roma in Frankreich geschieht, wenn Herrenmenschen wie Sarrazin zuviel Macht erlangen.

    Dann wird eben genetisch abartiges Menschenmaterial außer Landes geschafft.

    In Frankreich passiert es jetzt. Wir sind auf dem Weg diesem Beispiel zu folgen, nur dass unsere Roma Türken sind.

  • T
    tutnichtszursache

    In dem Artikel steht "Heimatländer" Das ist Quatsch, da viele Kinder der in Frankreich lebenden Roma dort geboren sind. Außerdem sollte sich jedeR aussuchen können, wo er/sie leben will. Künstlich geschaffene Nationalstaaten berauben uns der (Bewegungs(freiheit).

    Es wäre schön, wenn es in Deutschland vergleichbaren Protest/Widerstand gäbe, da im Moment ca. 10.000 Roma aus Deutschland in das jetzt angebliche "sichere" Kosovo abgeschoben werden sollen. In der BRD läuft dies aber bis jetzt recht unauffällig und mehr oder minder reibungslos.

     

    Kick it like Frankreich - Sand in das Abschiebegetriebe, Flugpassagiere können bei Abschiebungen in ihren Flügen Einfluss nehmen und zumindest Aufmerksamkeit herstellen - im Besten Fall die konkrete Abschiebung verhindern.

     

    Kein Mensch ist illegal- höchstens illegalisiert durch einen Staat