Französisches Gericht annulliert Ehe: Braut kaputt - Umtausch erlaubt

Weil die Frau keine Jungfrau mehr war, annullierte ein Gericht in Lille die Ehe eines muslimischen Paares. Der Fall sorgt nun für Aufruhr.

Musterfrauen: Models auf der Kuala Lumpur Fashion Week 2006. Bild: dpa

PARIS taz Ein Gericht in Lille in Nordfrankreich hat eine Eheschließung rückgängig gemacht, weil die Braut gelogen hatte, als sie ihrem Zukünftigen sagte, sie sei Jungfrau. Dieser Präzedenzfall sorgt heute für Kopfschütteln und Proteste. Das Urteil von 2006 wäre vermutlich gar nicht beachtet worden, hätte es nicht eine juristische Fachzeitschrift jetzt in ihrer April-Nummer als Präzedenzfall kommentiert.

Ein Gericht in Lille hatte die Ehe einer 25-Jährigen und eines 30-Jährigen für ungültig erklärt, weil nach Auffassung des Richters für den Bräutigam ein „Irrtum bezüglich einer wesentlichen Eigenschaft“ seiner Angetrauten vorlag. Diese hatte ihm versichert, sie sei noch Jungfrau, was für ihren Zukünftigen, der wie sie selbst muslimischen Glaubens ist, offenbar von größter Bedeutung war. Noch in der Hochzeitsnacht stellte der Frischvermählte fest, dass seine Braut ihn belogen hatte, was diese angeblich auch eingestand. Am Tag darauf brachte der Vater die junge Frau zu ihren Eltern zurück mit dem Argument, seine Ehre stehe auf dem Spiel.

Beide Familien einigten sich darauf, die Eheschließung für ungültig erklären zu lassen. Der Anwalt des Mannes zog dies einer zwar längeren, aber diskreteren Scheidungsprozedur vor. Auch die verschmähte junge Frau habe der Auflösung zugestimmt.

Der Anwalt stützte sich auf einen verstaubten Paragrafen im Zivilgesetzbuch, der die Aufhebung einer Trauung ermöglicht, wenn bezüglich einer „wesentlichen Eigenschaft“ eines zukünftigen Ehegatten falsche Tatsachen vorgespiegelt wurden. Das wurde in der Rechtspraxis angewandt, wenn eine kriminelle Vergangenheit verschwiegen wurde, wenn ein Irrtum bezüglich der Identität vorlag oder einer der beiden Eheanwärter bereits verheiratet war. Er könne sich aber nicht erinnern, dass die Frage der Jungfräulichkeit auf diese Weise in einem Gerichtsentscheid geltend gemacht worden sei, sagte ein Sprecher des Pariser Justizministeriums.

Es sei „empörend, dass heute in Frankreich wegen Nichtjungfräulichkeit eine Ehe gerichtlich rückgängig gemacht wird,“ erklärte Valérie Létard, die französische Staatssekretärin für Frauenfragen. Eine solche Auslegung des Zivilgesetzbuchs sei ein „Rückschritt für die Stellung der Frau“ in der französischen Gesellschaft - sie sei „konsterniert“, sagte Létard. Sie ist bei weitem nicht die Einzige. Gestern hagelte es Kommentare, die von Unverständnis bis zu größter Entrüstung reichen. Alle Rekursmöglichkeiten müssten ausgeschöpft werden, damit „dieses Anstoß erregende Urteil“ vom Kassationshof für nichtig erklärt werde, verlangte die Regierungspartei UMP. Die sozialistische Oppositionspartei wünscht, dass andernfalls der Paragraf des (aus Napoleons Zeiten stammenden) Code civil im Schnellverfahren gestrichen oder geändert wird.

Die feministische Philosophin Elisabeth Badinter wies auf die verheerenden Folgen des Urteils hin: Hunderte von muslimischen Mädchen würden nun in die Krankenhäuser rennen und sich bei einer chirurgischen Intervention ihre Hymen rekonstruieren lassen, um nicht nach der Hochzeitsnacht eine ähnliche Schmach zu erleiden. Frauenärztinnen bestätigen, dass solche Anliegen oder auch der Wunsch, ein medizinisches Jungfräulichkeitszertifikat ausgestellt zu bekommen, in ihrer Praxis keine Seltenheit sind.

Dabei sei der männliche Jungfräulichkeitswahn keine Spezialität muslimischer Traditionalisten, machen Vertreter eines modernen Islam in zahlreichen Diskussionsbeiträgen im Internet deutlich. Ihr Kampf für Integration in die französische Gesellschaft wird durch diese anachronistisch anmutende Debatte nach dem Urteil von Lille nicht gerade erleichtert.

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