Franz Josef Degenhardts Lieder: Grandios scheitern
Erst sprach Degenhardt aus, was die ganz Jungen über die Spießer dachten. Dann vergrätzte er die älter gewordenen Spontis mit Parteilyrik. Später war alles wieder gut.
Jetzt hat der Tod, dieser spaßige Gast, auch ihn eiskalt am Brustbein gepackt, wie es in "Au pere eternel" heißt, ein Lied, das der am Montag im Alter von 79 Jahren verstorbene Dichter und Sänger Franz Josef Degenhardt 1986 für Georges Brassens geschrieben hat. Auch an seine Gruft werden der Paffe, der General und der Patron nicht kommen, weil er sie - wie sein musikalisches Vorbild Brassens - gehasst hat wie jeden Schuft, auch den, der nur zuschaut von seinem Balkon.
Da sein werden die anderen. Rudi Schulte, der bestusste Onkel Richard, P. T. aus Arizona, der lange schon in Frankreich lebt, das Hasenschartenkind, der Fremde mit dem Hinkefuß und alle Kumpane vom langen Tisch im Gonsbachtal (sein parteiloses Politbüro), mit denen er beim Abendmahl auf Lauch gebraten Hammel zu Schnaps und rotem Wein immer so intensiv genossen hat, wie er die Genossinnen mit den Äpfeln und den Pflaumenhintern liebte.
Franz Josef Degenhardt hat mich, Jahrgang 1952, (politisch) sozialisiert. Die von ihm geschaffenen Figuren, die immer für den aktuellen, oft erbarmungswürdigen Zustand der Linken seit 1964/65 geradezustehen hatten - oder situationsbedingt grandios an den jeweiligen repressiven Verhältnissen scheiterten -, haben mich bis heute wie alte Kumpel durchs Leben "begleitet". Es war Degenhardt, der unsere spieß- und kleinbürgerlichen Eltern, Lehrer und Pfarrer (Wir gegen die!) so herrlich treffend und mit Genuss abwatschte, dass wir alle - zuerst mein Bruder und ich und ab 68 auch die Jungs meiner Band Dreadful Desire (die erste Hendrix-, Doors-und Cream-Coverband im Südhessischen) - wie gebannt vor dem Plattenspieler saßen und vor (Schaden-)Freude oft laut quietschten.
Beim "Deutschen Sonntag" etwa: Da treten sie zum Kirchgang an, Familienleittiere voran, Hütchen, Schühchen, Täschchen passend, ihre Männer unterfassen, die sie heimlich vorwärtsschieben, weil die gern zu Hause blieben! Oder dem "Notar Bulamus": Der alte Notar Bulamus hat sich gut durch die Zeit gebracht, weil er war immer ein bisschen dafür und ein bisschen dagegen …, nur Auschwitz, sagt er, war ein bisschen zu viel. Und er zitiert seinen Wahlspruch: alles mit Maß und mit Ziel! Und erst das satirische Stück über die vielen Briefe: Lieber Dr. Degenhardt, Drecksau mit dem Ulbrichtbart, Zonenknecht, Sowjetspion, warte nur, wir kriegen dich schon.
Doch keine Beziehung ohne Brüche. Degenhardts nach 1968 immer offener zu Tage tretende Affinität zu DKP und DDR - diesem damals lächerlichsten Staatsgefängnis der Welt - war eine Karikatur von dem, was wir undogmatischen Linken, die wir uns später auf der Uni Spontis nannten, für Sozialismus hielten. Dass Zwischentöne im Klassenkampf nur Krampf seien, sang er nun. Mein Degenhardt war das nicht mehr.
Erst nach der Jahrtausendwende habe ich ihn wiederentdeckt. Ausgerechnet auf einem Parteitag der DKP - von deren kümmerlicher Existenz ich gar nichts mehr wusste -, den ich aus beruflichen Gründen besuchen musste. Bei einem realsozialistischen Devotionalienhändler, der auch in Schweinsleder gebundene Reden von Honecker feilbot, kaufte ich dann eine Degenhardt-CD, die Ende der 80er Jahre produziert wurde und die ich noch nicht kannte. Es war sofort wieder da, das alte Degenhardt-Gefühl. Etwa bei dem Stück über Natascha Speckenbach, eine einfache Genossin nur, der die Ärzte noch anderthalb Jahre geben, die sich aber dennoch mit Courage dem neokapitalistischen Zeitgeist entgegenstellt. Oder über "Onkel Richard", der in einer aufgelassenen Fabrik haust und dort alles in Schuss hält, weil es ja weitergehen muss. An der Wand hängen Fotos von Clara Zetkin und Marylin - und die Erde vom Mond aus gesehn. Väterchen Franz, mach et juut!
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