Frankreichs neuer Premierminister: Proteste gegen Michel Barnier
Der Konservative soll in der Nationalversammlung eine Mehrheit finden. Auf den Straßen französischer Städte finden am Samstag Demos gegen seine Ernennung statt.
In ganz Frankreich waren 150 Kundgebungen geplant unter anderem in Montauban und Auch. In Montauban wiesen Demonstrantinnen und Demonstranten die Ernennung Barniers als Leugnung der Demokratie zurück. Damit griffen sie die Rhetorik der linkspopulistischen Partei La France insoumise und ihres Chefs Jean-Luc Mélenchon auf. „Das Volk wurde ignoriert“, sagte ein Redner auf der Kundgebung.
Einer am Freitag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Elabe zufolge sind 74 Prozent der Franzosen der Meinung, Macron habe das Wahlergebnis missachtet. Frankreich droht am 1. Oktober eine Streikwelle, die bereits mit dem Demonstrationsaufruf für Samstag angekündigt wurde.
Präsident Emmanuel Macron hatte Barnier zum Regierungschef ernannt obwohl die Konservativen bei der Parlamentswahl nur auf den 4. Platz gekommen waren. Stärkste Kraft ist die linke Neue Volksfront, in der La France insoumise eine führende Rolle spielt. Allerdings verfügt auch dieses Parteienbündnis über keine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung.
Barnier muss jetzt versuchen, eine Mehrheit im Parlament zu finden. Er traf bei seinem ersten offiziellen Besuch als Premierminister Beschäftigte im Pariser Necker-Krankenhaus. Er wolle sich die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger anhören, insbesondere über die öffentlichen Dienstleistungen in Frankreich, sagte er.
RN: „Ministerpräsident unter Beobachtung“
Der Chef der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National, Joran Bardella, forderte Barnier auf, die Ziele seiner Partei zu berücksichtigen. Der RN wird in der Konstellation zum Königsmacher, da die Partei Barnier unter bestimmten Bedingungen zugesichert hat, sich nicht an einem Misstrauensvotum zu beteiligen. RN-Chef Jordan Bardella sagte am Samstag dem Sender BFM, Barnier sei ein Ministerpräsident unter Beobachtung. „Ohne uns geht nichts“.
NFP und RN könnten – im Falle einer Zusammenarbeit – den Regierungschef stürzen. Beide Lager hatten massiv gegen einige von Macrons unpopulären Reformvorstößen gewettert. Dazu zählt vor allem die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre. Barnier kündigte an, die Reform mitzutragen.
Barnier erklärte in seinem ersten Interview nach seiner Ernennung, er wolle das zersplitterte Parlament einen und zugleich einen härteren Kurs in der Einwanderungspolitik einschlagen.
Der äußerst erfahrene Barnier ist mit 73 Jahren der älteste Premierminister in der Geschichte der fünften Französischen Republik und Nachfolger des Liberalen Gabriel Attal, der mit 34 der Jüngste in diesem Amt war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen