Frank-Walter Steinmeier: Der ruhige Runde
Er gilt als moderat und analytisch und wird wohl Kanzlerkandidat der SPD werden. Dann muss Steinmeier nicht mehr Geiseln, sondern die Sozialdemokratie retten.
BERLIN taz Es ist ein lauer Sommerabend in Berlin. Der Mond hängt rund und gelb über dem Tegeler See. Die Parlamentarische Linke, zu der etwa ein Drittel der SPD-Bundestagsfraktion gehört, hat zu einem lockeren Treffen eingeladen. Kurt Beck ist da, Frank-Walter Steinmeier auch. Man plaudert, manche gucken Fußball. Es ist für die zerzauste SPD ein ungewöhnlicher, entspannter Abend. Kurt Beck, der viel Kritisierte, erzählt einen Witz und meint ironisch mit Blick auf den still daliegenden See, wie schön friedlich Berlin doch sein könne. Dann spricht knapp Steinmeier. Im weißen Hemd mit kurzen Ärmeln. Er ist klein, kleiner, als man ihn sich vorstellt, wenn man ihn nur aus dem Fernsehen kennt. Und er hat etwas Rundes. Das Gesicht ist rund, die Brille sowieso, der ganzen Erscheinung fehlen das Eckige und die hektische Bewegung.
Wenn er redet, meidet er dramatisierende Betonungen. Er wird nicht laut, wie es manche Politiker machen, wenn sie zeigen wollen, dass sie es jetzt wirklich ernst meinen. Steinmeier hat etwas in sich Ruhendes. Manchmal, wenn er nervös wird, dreht er die Daumen gegeneinander. Aber sonst sagt seine Körpersprache fast immer: Kein Grund zur Beunruhigung. Ich habe alles im Griff.
Früher, erzählt er, gehörte diese Villa am Tegeler See dem Großindustriellen Borsig. Jetzt gehört sie dem Auswärtigen Amt. "Wir haben das sozialisiert", sagt er ironisch und fast ein bisschen laut. Aber nur fast. Die Genossen applaudieren. So mögen sie ihn, den Vizechef der Partei, der oft distanziert wirkt. Nicht unnahbar, wie Otto Schily, aber doch fern.
Wahrscheinlich hat noch nie ein Vizechef der Sozialdemokraten so wenig Zitierbares, Prägnantes zur Innenpolitik und zur Lage der SPD gesagt wie Frank-Walter Steinmeier in den letzten neun Monaten. Er hat die Agenda 2010, die die SPD in die tiefste Krise seit 1989 gestürzt hat, mitverfasst. Doch auch als Vizeparteichef ist er gewissermaßen Diplomat. Jetzt redet Frank-Walter Steinmeier von den "lieben Genossen" und wie weise er die Beschlüsse der Partei findet, die den Schaden der Agenda 2010 begrenzen sollen.
Dann redet er von Javier Solana, der sich hier im Gästehaus des Auswärtigen Amtes mit der schwierigen Frage des iranischen Atomprogramms befasst habe. Komplizierte Fragen, internationale Diplomatie, er senkt die Stimme und klingt neutral, gefasst, verantwortungsschwer. Da redet wieder der Außenminister aus dem TV. Sogar bei einem Sommerabend der Genossen.
Frank-Walter Steinmeier begreift schnell. Das bescheinigen ihm viele, die ihn kennen. Wenn er über Außenpolitik redet, ist das zwar trocken. Aber fern von den unverbindlichen Null-Aussagen, die Genscher so qualvoll perfektionierte. Oder dem auftrumpfenden Gestus Joschka Fischers. Das Diplomatische, verknüpft mit dem Diskursiven, liegt ihm. "Steinmeier", lobt Volker Perthes, Chef des regierungsnahen Thinktanks "Stiftung Wissenschaft und Politik", "denkt nicht in Ländern, sondern in Themen wie Energiepolitik oder Abrüstung".
Experten bescheinigen Steinmeier, dass er verstehe, dass Außenpolitik im globalen Dorf mehr als Diplomatie zwischen Staaten sein muss. Das klingt hochfahrend, hat aber Folgen. Kultur spielt bei Steinmeier, anders als bei Fischer, eine große Rolle - nicht als Aperçu, sondern als Imagewerbung für Deutschland. Deshalb bekommt das Goethe-Institut mehr Geld. Als der Bundesaußenminister kürzlich nach China flog, nahm er den Schriftsteller Herbert Rosendorfer mit, der einen Roman über China geschrieben hat. "Er hatte ihn gelesen", sagt Rosendorfer. Wie fand er den Außenminister? "Freundlich, umgänglich, gescheit. Im Persönlichen eher still", sagt der Schriftsteller. Und: "Er hat etwas unterkühlt Verbindliches. Das gefällt mir, weil ich auch so bin."
Frank-Walter Steinmeier sitzt am Donnerstagnachmittag im überfüllten Audimax der Humboldt-Universität in Berlin und beantwortet geduldig Fragen nach Brakelsiek im Kreis Lippe in Ostwestfalen. Dort "im armen Winkel von NRW" ist er groß geworden. Der Vater war Tischler, Teil der bildungsfernen Schicht, wie man heute sagt. Aber er war entschlossen, dass es seinen Kindern besser gehen soll. Die "Bildungseuphorie der frühen 70er-Jahre" (Steinmeier) ermöglichte den sozialen Aufstieg. Er durfte studieren, wurde Jurist, dann zwölf Jahre lang die rechte Hand von Gerhard Schröder. Erst in Hannover, dann in Berlin. So erzählt, nein berichtet es Frank-Walter Steinmeier ein paar hundert konzentriert zuhörenden Studenten. Ein sozialdemokratisches Aufstiegsmärchen, ganz so wie das von Schröder - und doch ganz anders.
Denn es kursieren zwar inzwischen ein paar persönliche Geschichten über seine Jugend in Brakelsiek. Dass er im Fußballverein Prickel hieß und auf dem Platz eher ein Kämpfer als ein Techniker war. Aber diese Geschichten sind weniger farbig als die Schröders. Es gibt keinen in Russland gefallenen Soldatenvater, der wiederentdeckt wird. Keinen ellenbogenbewehrten Kampf von ganz unten nach ganz oben. Kein Rütteln am Tor des Kanzleramtes.
Bei Steinmeier scheint alles ins fahle Licht des Normalen getaucht. Eigentlich wollte er Sportreporter werden, dann Architekt. Aber er wurde, weil es solideren Broterwerb verhieß, Jurist. Eine vernünftige Entscheidung. Sein ganzes Leben scheint eine Abfolge vernünftiger Entscheidungen zu sein. Tischlersohn aus Brakelsiek zu sein, sagt Steinmeier in der Humboldt-Uni, "ist kein üblicher Lebenslauf für einen Außenminister". Das ist, wie stets, zutreffend formuliert. Doch das Biografische hat bei ihm keinen Geruch. Am Ende applaudieren die Studenten, nicht überschwänglich, aber freundlich. Der Minister steht auf, nestelt an seine Jackettknöpfen und winkt scheu und knapp. Eine sachliche Geste. Nicht zu viel Applaus. Außerdem muss er jetzt wieder Geiseln befreien.
Szenenwechsel. Landesparteitag der niedersächsischen SPD in Hannover. Steinmeier stützt sich auf das Rednerpult und redet laut, sehr laut. Und erinnert stark, sehr stark an den Wahlkämpfer Gerhard Schröder. So, als würde er eine Rolle ausprobieren. Er hat die gleiche raue, ostwestfälische Dialekttönung wie Schröder. Und auch die gleiche Art zu betonen. Wenn er einen Satz beendet, macht er keine Pause. Sondern hebt die Stimme, damit bloß keine Aufmerksamkeitslücke entsteht. Wer so betont, will nicht unterbrochen werden. Und er will es Fernsehredakteuren schwer machen, einen Halbsatz aus dem Zusammenhang zu reißen. Schröder hat das auch so gemacht. Steinmeier macht es ihm nach. Aber es steht ihm nicht. Er wirkt wie sein Klon.
Frank-Walter Steinmeier war lange der Herr der Hinterzimmer. Nicht gefürchtet, eher geachtet in der SPD. Diese Arbeit, sagt er in der Humboldt-Universität eine Spur beleidigt, "war nicht unöffentlich". Zu lernen, wie man vor Kameras redet, sei ihm auch nicht so schwer gefallen. Aber er hat noch keinen Wahlkampf ausgefochten, noch nicht mal für ein Bundestagsmandat. Kann so einer Angela Merkel schlagen?
Vielleicht ja. Denn der Unterschied zu dem "Alphatier Schröder" (Steinmeier) muss kein Minus sein. Schröder war ja auch der Aufsteiger als Parvenü, der mit teuren Anzügen protzte und aus dem immer mal wieder das Unkultivierte herausbrach. Ein Spieler, oft unberechenbar, bis er sich selbst 2005 mit seinem Neuwahlcoup verrechnete. Steinmeier hingegen ist der nette Aufsteiger von nebenan, der noch immer selbst verblüfft zu sein scheint, dass er es zum Außenminister gebracht hat. Einer, der seine Familie vor den begierigen Blicken der Öffentlichkeit abschirmt. Einer, der das Gefühl vermittelt, dass man bei ihm vor bösen Überraschungen gefeit ist. Und der geräuschlos Probleme lösen kann, die das Publikum noch nicht mal versteht. Warum sollen sich die Wähler nicht auch in so einem spiegeln können?
Alles läuft auf ihn als Kanzlerkandidaten zu. Denn kaum jemand in der SPD glaubt noch, dass Kurt Beck sich von dem Umfrage-Absturz nach der Hessenwahl erholen wird. Die einschlägigen Leitmedien inszenieren Steinmeier schon mal als Messias mit Aktentasche, der die SPD auf den rechten Agenda-Weg zurückführen wird.
Allerdings wird Steinmeier als Kandidat wohl doppelt aus Schröders Schatten treten müssen. Er wird einen Redestil finden müssen, der nicht bloß ausgeborgt wirkt. Und eine Politik, die nicht wie eine Wiederholung des Schröder-Dramas wirkt. Einen Marktplatztribun, der die Partei noch mal mit Machtworten und Erpressungen durch eine Agenda-Hölle jagt, wird die SPD kaum ertragen. Als Kanzlerkandidat wird Steinmeier die SPD zusammenhalten müssen. Er wird Konflikte moderieren müssen. Die Wähler werden entdecken, dass er nicht nur Geiseln, sondern auch die SPD retten soll - was zweifellos der undankbarere Job ist. Er wird ins Sperrfeuer der Medien geraten, die ihn derzeit feiern. Lange galt er als Schröders Alter Ego. Jetzt muss er zeigen, dass er mehr ist. Und anders.
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