Fragwürdige Ehrung in Jena: "Rassische Verunreinigung"
Jena hatte einen Karl-Marx-Platz, dann eine Umbenennung und nun ein Problem. Denn vom neuen Namensgeber sind antisemitische Äußerungen aufgetaucht.
In Jena tobt ein Kampf um den "Petersenplatz". Ein Frankfurter Forscher findet den Namen unhaltbar, seitdem er dem Reformpädagogen Peter Petersen rassistische und antisemitische Äußerungen nachweisen konnte. Doch noch zögert die Stadt, ihrem berühmten Bürger den Platz streitig zu machen. Im Nachwendejahr 1991 hatte man den dortigen "Karl-Marx-Platz" in "Petersenplatz" umbenannt und halste sich damit nun achtzehn Jahre später eine heftige Debatte auf.
Über Jahrzehnte war es Peter Petersen, Begründer der berühmten "Jenaplan"-Reformpädagogik und von 1923 bis 1950 Professor an der Universität Jena, meist als biografischer Schönheitsfehler ausgelegt worden, dass er sich seinerzeit recht reibungslos mit dem NS-Staat arrangiert hatte. Vergangenen Sommer allerdings veröffentlichte der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Benjamin Ortmeyer ein Buch mit wiederentdeckten Aufsätzen Petersens, die eine frappierende Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie aufweisen. In der Zeitschrift Blut und Boden etwa charakterisiert Petersen 1933 Juden als "für uns zersetzend, verflachend, ja vergiftend". 1941 erscheint von ihm ein Artikel über rassische Hochwertigkeit ("Sie verpflichtet!").
Vor allem aber verweist Ortmeyer darauf, dass Petersen auch nach 1945 keinerlei Einsicht gezeigt habe: Noch im Gründungsjahr der Bundesrepublik beklage Petersen in einem - erst posthum veröffentlichten - Buch die "rassische Verunreinigung" des deutschen Volkes. "So spricht ein Nazi, der der bessere Nazi sein wollte", schrieb Ortmeyer in der taz vom 5. Oktober 2009. Am gleichen Tag stellte er sich in Jena einer Podiumsdiskussion zu Petersen, die die Stadt anlässlich der neuen Faktenlage einberufen hatte. Ortmeyer vertrat dort eine Position, die er nun noch einmal bekräftigte: "Kein Mensch, der etwas mit Naziverbrechen zu tun hat, wird akzeptieren können, dass jemand mit solchen Äußerungen wie Petersen durch einen Platz geehrt wird."
Aus Jena heißt es indes: "Es kann keine einfache Entscheidung ,Name weg!' oder ,Name behalten!' gefällt werden", erklärt Jörg Vogel, Vorsitzender des städtischen Kulturausschusses. Richtig machen könne der Ausschuss, der sich heute des Problems Petersen in einer Sitzung annehmen wird, aber sowieso nichts, behauptet Vogel: "Jede Entscheidung wird Kritiker haben." Bei Petersen handele es sich nun einmal um eine "widersprüchliche Persönlichkeit". Hier der fortschrittliche Pädagoge, der Gruppenarbeit, altersgemischtes Lernen und antihierarchische Wissensvermittlung propagierte. Dort der Autor, der mit rassistischen und antisemitischen Texten - so der Petersen-Experte Hein Retter - eine "moralische Selbstbeschädigung" betrieben habe.
Was wiegt schwerer? Den Namen eines Verfassers NS-naher Schriften im öffentlichen Raum zu belassen? Oder den Namen eines der bedeutendsten Pädagogen des 20. Jahrhunderts aus dem Straßenbild "seiner" Stadt zu tilgen? In der Diskussionsgrundlage für den Kulturausschuss, die der Jenaer Stadthistoriker Rüdiger Stutz zusammen mit dem Erziehungswissenschaftler Peter Fauser und dem Historiker Jürgen John erstellt hat, heißt es: "Im Falle Petersens lassen sich (…) verstörendes Erinnern und anerkennendes Gedenken nicht voneinander trennen." Das Papier hält auch die Option für denkbar, "den Namen ,Petersenplatz' - kritisch kommentiert - beizubehalten".
Ortmeyer hält hingegen einen solchen Kompromiss für eine "Katastrophe": "Einerseits auf Infotafeln darauf hinzuweisen, dass Petersen ein Nazi war, und ihn andererseits mit einem Platz zu ehren - damit würde sich Jena zum Gespött der ganzen Welt machen."
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