Foucault und Darwin: Die Katze ohne Plan
Der Historiker Philipp Sarasin untersucht den Einfluss Darwins auf Foucault. Geschichte hat für Foucault genauso wenig Sinn wie Evolution für Darwin.
Am 12. Februar 2009 wird Charles Darwins zweihundertster Geburtstag begangen, schon im kommenden Jahr wird die immense Bedeutung seines Werkes für diverse Disziplinen gefeiert werden. Trotz des Horrors, den solche sogenannten interdisziplinären Veranstaltungen auch auslösen können, kann man sich auf ein Projekt freuen, das derzeit noch im Entstehen ist. Es handelt sich um den Versuch des in Zürich lehrenden Historikers Philipp Sarasin, den Einfluss Darwins auf die Geschichtskonzeption und das Geschichtsdenken Michel Foucaults freizulegen. Am vergangenen Mittwoch zog Sarasin im Berliner Zentrum für Literaturforschung unter dem Titel "Foucault liest Darwin. Bemerkungen zu einer stillen Referenz" eine erste Bilanz seiner Arbeit. Man kann schon jetzt sagen, dass es sich dabei neben Julia Voss bereits erschienener Studie "Darwins Bilder. Ansichten der Evolutionstheorie" um einen der avanciertesten Versuche handelt, Darwin vor den falschen Logiken des Biologismus und des Sozialdarwinismus zu schützen.
Sarasin stützt sich in seiner Untersuchung der Einflüsse Darwins auf die kleineren Texte Foucaults - Interviews und Zeitungsartikel - und auf eine Entdeckung: Die Aufzeichnungen einer Vorlesung Foucaults zu "Problèmes de lAnthropologie", die er 1954/55 an der École Normale Supérieure gehalten hat. Die weder publizierte noch durch Tonbandaufnahmen dokumentierte Vorlesung liegt nur in der Form einer Mitschrift eines Schülers vor. In ihr geht es um das Problem der "Suche und Forderung nach einem Wesen des Menschen", das zugleich der Ort der "Wahrheit" wäre, wie es in vielen Versuchen der philosophischen Anthropologie auftaucht. Für Foucault hat Darwin, indem er die Frage nach der Existenz des Menschen in der Evolutionstheorie aufgreift, jede Möglichkeit erledigt, weiterhin von einem irgendwie im "Geist" begründeten, immer gleichen und "wahren" Wesen des Menschen zu sprechen. Es gibt also keine "ersten und ursprünglichen Formen des Wesens des Menschen", sondern nur "konkrete Wesen" in einer bestimmten Situation.
Für die Beschreibung der Geschichte einer konkreten Existenz hat das weit reichende Folgen, weil es eine Absage an jede Form des Essenzialismus ist. Übertragen auf ein Beispiel aus dem Tierreich heißt das, die Beschreibung einer konkreten Katze kann sich, wenn sie evolutionsgeschichtlich im Sinne Darwins argumentiert, nicht am Wesen der Art oder Gattung Katze orientieren, sondern muss die Beschreibung am Individuum beginnen. Das ist ein extremer Nominalismus, der alle präexistierenden Einheitlichkeiten und Gemeinsamkeiten oberhalb der Ebene des Individuums bestreitet und es ist Darwins Argument für die Evolution. Dass sich die verschwenderischen Vielfalten der Arten, Unterarten, Varietäten und Individuen dem zementierenden Raster klassifikatorischer Systeme entzogen, war für Darwin der Hinweis auf andauernd verändernd wirkende Kräfte in der Natur. Dadurch bekommen alle Lebewesen bei Darwin etwas gewissermaßen Amorphes. Er geht einmal so weit, zu sagen, es seien nur die veränderbaren, die sozusagen anpassungsfähigen Elemente eines Lebewesens, die für die Existenz wichtig seien, nicht die konstanten, die es natürlich auch gibt.
Denn natürlich weiß auch Darwin, dass sich alle Katzen irgendwie ähneln und das auch Katzen ohne Knochengerüst schlecht laufen und leben können. Darwins radikale Neuerung besteht aber darin, jeden Plan aus der Entstehung der Gemeinsamkeiten des Typus Katze genommen zu haben. Die Gemeinsamkeiten des Typus sind eine Folge der Existenzbedingungen der Individuen. Es sind die Umweltbedingungen - Konkurrenten, Räuber, Klimaverhältnisse - die durch die "Arbeit am Individuum" die Gemeinsamkeiten hervorbringen, das einzelne Tier hat sich ihnen, mit der Drohung des Untergangs konfrontiert, zu fügen. Damit wird die natürliche Selektion, der Begriff, unter dem Darwin alle Existenz ermöglichenden und verhindernden Kräfte zusammenfasst, zur einzig wirklich bestimmenden Macht in der Natur. Daraus folgt, dass die Verhältnisse und Beziehungen der Lebewesen bei Darwin äußerlich sind, was das entschiedene Gegenteil eines jeden Gen-Determinismus ist, der die richtenden Kräfte wieder nach innen, in den Körper legt.
Darwin nimmt aber nicht nur jeden Plan, jedes Ziel aus dem Naturprozess, er zerstört auch jeden Sinn. Denn die Körper oder Organe, an denen die natürliche Selektion ihre Arbeit vollzieht, sind allein ein Produkt des Zufalls. Zufällig entsteht eine bunte Feder an einem Fasan, zufällig wird ein Schmetterling baumrindenbraun und wie weit er es dann in seiner Individualgeschichte bringt, hängt nicht davon ab, ob er gut, schön oder hilfreich ist, sondern nur davon, ob er mit den Verhältnissen zurechtkommt. Und für die Beschreibung der wirklichen Geschichte des Schmetterlings bedeutet das, ihr keine Entwicklungslogik und keinen Plan zu unterstellen, sondern sie nur in den Relationen des Individuums ins Auge zu nehmen. Die Nähe zu Foucaults Geschichtsbegriff, nach dem Geschichte geprägt ist durch Zufälle und Diskontinuitäten im Kampf um Macht, ist in Sarasins Analyse frappierend. Sie erklärt aber auch gleichzeitig, warum Foucault immer so heftig auf Sozialutopien reagierte, die Menschen zu einer natürlicheren Lebensweise führen wollten: Eine solche Lebensform im schönen Früher gab es für ihn nicht.
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