Fotos nach Jahrzehnten entdeckt: Das Märchen der Vivian Maier
Fünfzig Jahre lang fotografierte eine Nanny Straßen in Amerika – und zeigte die Bilder niemandem. Erst nach ihrem Tod wurden die Kunstwerke entdeckt.
Geheimnisse wie das von Vivian Maier sind eigentlich nicht mehr vorgesehen. Jede Sekunde werden Fotos auf Facebook und Flickr hochgeladen. Wikileaks bleibt nichts verborgen. Die Vorstellung, dass jemand jahrzehntelang fotografiert, einfach für sich, jeden Morgen manisch rausrennt, eine Rolleiflex um den Hals gehängt, die Menschen auf den Straßen fotografiert und die Bilder, hunderttausend, niemandem zeigt, ist so etwas wie die Antithese unserer Zeit. Genau das hat Vivian Maier getan.
Wir wissen nicht viel über diese Frau, erst Stück für Stück setzt sich das Mosaik ihres Lebens zusammen. 1926 ist sie in New York geboren, wuchs in Frankreich auf, 2009 starb sie. Zwei Jahre zuvor hatte der Immobilienmakler John Maloof ein paar Boxen mit Negativen auf einer Auktion erstanden, für 400 Dollar. Er scannt die Bilder, wunderbar beobachtete Straßenszenen. Einen Namen zu den Fotos entdeckt er erst 2009, sucht nach Maier – und findet nur noch ihre Todesanzeige. Er stellt einige Bilder online, bekommt hunderte E-Mails, Experten sind fasziniert.
Wer war diese Frau, deren Bilder sich mühelos einordnen zwischen die Werke der großen Chronisten des amerikanischen Lebens, wie Walker Evans und Helen Lewitt? Kauzig soll sie gewesen sein, eine Querdenkerin. Vierzig Jahre lang war sie Nanny, die Kinder liebten sie, nannten sie Mary Poppins. Sie selbst nannte sich Antikatholikin, Sozialistin und Feministin, sprach mit französischem Akzent, trug Männerjacken und Hut. Niemand durfte ihr Zimmer betreten, in dem sich Fotoschachteln bis an die Decke stapelten.
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Es ist fast ironisch, dass Maier jetzt über ein YouTube-Video auf der ganzen Welt bekannt wird, sich zwei Einzelausstellungen in Hamburg und Chicago ihr widmen – Maier, die offensichtlich keinerlei Geltungsbedürfnis hatte, der es nicht um Ruhm und Anerkennung ging. Vielleicht wäre sie wahnsinnig geworden ohne diese Arbeit. Vielleicht war sie eine Art Therapie. In jedem Fall hatte Maier das, was Künstler ausmacht: ein Getriebensein, ein Nicht-anders-Können.
Eine Auswahl an Fotos von Vivian Maier gibt es in unserer Bildergalerie.
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