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Fotografie zwischen Fiktion und RealitätIm Bett mit Monsieur Bovary

Bilder, die eher Rätsel aufgeben, als etwas zu erklären: Das Photomuseum in Braunschweig zeigt „Illusionen der Beobachtung“.

Spiel mit Geschlechterrollen: Daniela Comani ist auf ihren Fotos Gatte und Gattin zugleich Foto: Daniela Comani

Braunschweig taz | Das meint man visuell ja zu erinnern: Bilder von lange zusammen seienden und gemeinsam alternden Lebenspartnern, die sich physiognomisch und körperlich so stark angleichen, dass sich selbst Geschlechterunterschiede aufzuheben scheinen. Mit diesem sozial-psychologischen Phänomen operiert die Fotokünstlerin Daniela Comani in ihrer seit 2003 betriebenen Langzeitserie „Eine glückliche Ehe“. Allerdings mit einem gravierenden Unterschied: Comani schlüpft in die Rolle der Ehefrau und des Mannes, kombiniert ihre situativen Momente in ausgetüftelter Digitaltechnik zu stimmigen Settings.

So setzt sie dem in konservativen Kreisen ja gern beschworenen „Gender-Wahnsinn“ subtil beobachtete Alltäglichkeiten entgegen, die humorvoll mit Rollenbildern und geschlechtsspezifischen Erwartungshaltungen spielen.

Im Supermarkt etwa prüft der Mann schon mal das Spirituosenangebot, während die Frau sich hinter ihm noch mit dem sperrigen Einkaufswagen abmüht. Im Büro sitzt sie am Telefon, er konzentriert sich am Computer. Und im Bett liest er „Monsieur Bovary“ von Gustave Flaubert, sie Hemingways „The old Woman and the Sea“.

Wobei: diese Titel? Auch das war eine Serie von Comani: Ihre „Neuerscheinungen“, nämlich in der Mann-Frau-Subjektzuweisung revidierte Originaleinbände von Literaturklassikern – eben so etwas wie „Die Frau ohne Eigenschaften“ oder „Die Schwestern Karamasow“ – gab sie 2009 in Buchform heraus, und lieferte so eine hintersinnige Visualisierung zu Judith Butlers „Unbehagen der Geschlechter“.

Die Ausstellung

Ausstellung „Illusionen der Beobachtung. Daniela Comani | Kata Geibl | Sanna Kannisto“: bis 27.9., Braunschweig, Museum für Photographie

Die 1965 in Bologna geborene, seit den 1990er-Jahren in Berlin lebende Daniela Comani ist derzeit eine von drei Künstlerinnen, die Barbara Hofmann-Johnson zu einer gemeinsamen Ausstellung in das Museum für Photographie in Braunschweig eingeladen hat, das sie seit nun fast vier Jahren leitet.

Mit dabei ist zudem die Finnin Sanna Kannisto, 1974 geboren, Absolventin der „Helsinki School“, jener renommierten Abteilung für Fotografie der Aalto-Universität, und in der Hauptstadt ansässig, sowie als Jüngste Kata Geibl. Sie kam 1989 in Budapest zur Welt, studierte dort, in Helsinki sowie in den Niederlanden und lebt seitdem teils in Den Haag.

Die drei Fotokünstlerinnen nehmen sich aus unterschiedlichem Blickwinkel traditioneller Aufgaben der Fotografie an, die sie sehr frei interpretieren. Da wäre, wie im Falle Comanis, die empirische Erfassung, nicht nur sozialer Zustände. Comani hat in einer neuen Serie 360 Luftbilder von Städten weltweit zusammengestellt und in alphabetischer Folge der Ortsnamen an den Wänden installiert, die dazugehörige, fast 800 Seiten starke Publikation „Planet Earth: 21st Century“ liegt aus.

Ansichtskarten vom Satellit

Die Aufnahmen von schräg oben auf markante Bauten und von Menschen bereinigte, städtische Situationen sind einschlägigen Bildsystemen von Apple und Google entnommen, digital bearbeitet und in SW-Postkarten transformiert.

Die moderne Aufnahmetechnik per Satellit, bildkulturell ziviler Nachfolger der Luftaufklärung militärischen Ursprungs, wird so zu antiquiert anmutender Luftbildfotografie, wie sie etwa Nadar bereits 1863 aus dem Heißluftballon unternahm. Und natürlich zum alten Kommunikationsmittel der Ansichtskarte, das einen Vorort-Besuch suggerieren wollte. Allerdings irritieren die geringe Auflösung und die mitunter nur schemenhafte Detailqualität der modernen Postkarten – kein ambitionierter Fotograf hätte jemals so etwas abgeliefert.

Sanna Kannisto, der gerade in ihrer Heimatstadt eine große Einzelausstellung gewidmet ist, orientiert sich an der reichen Tradition wissenschaftlicher Fotografie. Kannisto nimmt seit Langem an naturkundlichen Expeditionen auch in exotische Regionen teil, immer ihr kleines mobiles Studio dabei, und arbeitet an ihrem ganz eigenen Bildfundus zu Flora und Fauna.

Grundsätzlich interessiert sie, wie die Natur in Wissenschaft und Forschung dargestellt wird. Denn auch die vermeintlich objektivierende Inventarisierung ist nicht frei von subjektiven Sichten.

In ihrem Studio gewährt Kannisto Fledermäusen, Insekten und Reptilien, besonders aber Vögeln die nötige Ruhe und Zeit, sich auf bizarrem Astwerk zu platzieren, das sie bewusst artifiziell mit technischen Hilfsmitteln arrangiert. Die Vögel bestimmen ihren eigenen Rhythmus, finden ihren individuellen Platz und werden so zu Co-Autoren der Fotografien. Immer ist ein Teil des Studioaufbaus zu erkennen, um die Konstruktion bekannter Darstellungsmethoden der Naturkunde aufzuzeigen: Perfekt inszenierte, vor neutral weißem Hintergrund freigestellte Objekte stehen im Zentrum auch der Bilder Kannistos.

Sisyphusarbeit

Kata Geibl arbeitet ebenfalls mit wissenschaftlichen Versuchsaufbauten, zumindest aber dem Anschein solcher. In ihrer Serie „Sisyphus“ sind es etwa die Akustikauskleidung eines Tonstudios oder das wundersame Interieur eines naturkundlichen Museums, die eher Rätsel aufgeben, als dass sie etwas erklären. Die malerische Hängung der Serie verrät zudem mehr von ihrer erzählerischen Absicht, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zum Fließen zu bringen.

Die Kamera sehe mehr als das menschliche Auge, so Geibls Credo, sie liefere vor allem auch die Erfahrung gefährlicher Momente, etwa einer Atombombendetonation aus sicherer Distanz. Was ist derartige Anschauung aber mehr als eine Realitätsvermutung? Und die menschliche Beobachtung mehr als eine Illusion, wie der Ausstellungstitel die fotografischen Praktiken der drei Künstlerinnen subsummiert?

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