Forscher über DNA-Funde im Boden: „Da eröffnen sich neue Horizonte“

Dem Team des Leipziger Forschers Matthias Meyer ist es erstmals gelungen, Kern-DNA aus Ablagerungen in einer Höhle zu gewinnen.

Russische Archäologinnen in einer Höhle in Sibirien

Russische Archäologinnen in Sibirien Foto: Eddie Gerald/laif

taz: Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie ist in den letzten Monaten mit zwei Studien an die Öffentlichkeit getreten, in denen es um die Gewinnung von DNA aus Sedimenten geht. Können Sie die Methode anhand Ihrer Forschung kurz beschreiben?

Matthias Meyer: In der jüngst im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlichten Studie haben wir Sedimentproben aus der Denisova-Höhle in Sibirien ausgewertet. Diese Höhle liegt im Altaigebirge und enthält Sedimente, die sich über eine halbe Million Jahre ablagerten. Paläontologen hatten dort schon in den siebziger Jahren prähistorische Werkzeuge gefunden. 2010 wurde hier von den Forschern des MPI der Denisova-Mensch entdeckt, eine archaische Menschenform, die so etwas wie der östliche Verwandte des Neandertalers ist.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat man nicht mehr als ein Dutzend kleine menschliche Skelettreste in der Höhle gefunden, die wir durch Sequenzierung entweder den Neandertalern oder den Denisovanern zuordnen konnten. Es waren aber zu wenige Knochenfunde, um daraus etwas über die genaue Besiedlungsgeschichte der Höhle abzuleiten. Das ist der Grund, weshalb wir eine groß angelegte Sediment-DNA-Studie gemacht haben.

Wurde diese Methode hier zum ersten Mal angewandt?

Unsere Arbeitsgruppe hat über die letzten Jahre viel Arbeit investiert, um auch geringste Spuren von alter DNA nachweisen zu können. Tatsächlich haben wir schon 2017 begonnen, unsere Methoden auf Sedimente anzuwenden, und dabei festgestellt, dass auch in Höhlensedimenten geringe Spuren von menschlicher DNA enthalten sein können. Allerdings ist die Erfolgswahrscheinlichkeit nicht sehr hoch. Man muss sehr viele Proben analysieren, um einzelne zu finden, die menschliche DNA enthalten.

Matthias Meyer ist Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und lotet seit Jahren immer neue Möglichkeiten aus, prähistorische menschliche DNA zu analysieren. 2014 isolierte er die bislang älteste menschliche DNA, aus den circa 430.000 Jahre alten Knochen eines Neandertaler-Vorfahren.

Deshalb haben wir dann unser Probenbearbeitungsverfahren automatisiert, sodass wir in der Lage sind, an die tausend Proben zu analysieren. Das ist viel Arbeit, aber damit haben wir jetzt die Möglichkeit, mit hoher Wahrscheinlichkeit menschliche DNA in Sedimenten zu entdecken. Das haben wir dann in unserer Forschung in der Denisova-Höhle umgesetzt. Unsere russischen und australischen Kollegen haben für uns dort Proben entnommen.

Dabei sind sie von oben nach unten durch die Sedimentschichten gegangen und von links nach rechts. Alle zehn Zentimeter wurde eine Probe extrahiert. Am Ende hatten wir von jeder der Sedimentschichten Dutzende von Proben. Diese Proben wurden dann nach Leipzig gebracht und im Labor analysiert. Wir haben erst die DNA isoliert und dann ganz speziell die mitochondriale DNA herausgefischt.

Warum nur die mitochondriale DNA?

Die mitochondriale DNA, die über die mütterliche Linie vererbt wird, kommt in sehr vielen Kopien pro Zelle vor und ist relativ einfach zu analysieren. In der Denisova-Höhle haben wir sowohl die mi­to­chon­dria­le DNA von Säugetieren als auch die von Menschen untersucht. Menschliche DNA wurde in circa einem Viertel der Proben gefunden.

Was haben Sie dabei über die Besiedlung der Höhle erfahren?

Wir wissen jetzt, dass die Denisovaner wahrscheinlich die erste Menschenform waren, die die Höhle besiedelt hat. Das war möglicherweise schon vor 250.000 Jahren. Vor ungefähr 170.000 Jahren sind dann die Neandertaler gekommen. Dann gab es eine Zeit, wo beide Menschenformen in relativer zeitlicher Nähe in der Höhle gelebt haben. Spätestens vor 45.000 Jahren ist schließlich der moderne Mensch in der Höhle aufgetaucht. Das ist auch die Zeit, wo wir die größte Veränderung in den Steinwerkzeugen feststellen. Die sind jetzt eindeutig jungpaläolithisch. Auch Ornamente wurden mit der Ankunft des Homo sapiens zum ersten Mal in den Ablagerungen gefunden.

Haben alle drei frühen Menschenarten jemals gleichzeitig in der Höhle gelebt?

Ich denke, es ist eher unwahrscheinlich, aber ausschließen kann man es nicht. Was Neandertaler und Denisovaner angeht, wissen wir nicht genau, ob sie zeitgleich in der Höhle waren oder mit ein paar Tausend Jahren Abstand dazwischen. Auf jeden Fall muss es eine Begegnung gegeben haben, denn es wurde ein Knochenfragment eines Mädchens gefunden, deren Mutter Neandertalerin und deren Vater Denisovaner war.

Allerdings hat auch nicht ein und dieselbe Denisovanergruppe über den gesamten Zeitraum in der Höhle gelebt. So konnten wir für die Zeit von vor 130.000 bis 100.000 Jahren keine Sediment-DNA von Denisovanern in der Höhle finden. Dann kam eine neue Denisovanerpopulation, die eine andere mitochondriale DNA als die frühere Gruppe aufweist. Das alles hing möglicherweise auch mit Klimaveränderungen zusammen. Nach Ankunft des modernen Menschen verschwinden die archaischen Menschen dann aus der Höhle.

Ging es bei Ihrer im April im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichten Studie auch um die Aufeinanderfolge verschiedener Menschenformen in Höhlen?

Da haben wir ausschließlich Neandertaler untersucht. Das Besondere an dieser Studie ist, dass es uns zum ersten Mal gelungen ist, chromosomale DNA aus Ablagerungen in einer Höhle zu extrahieren und zu analysieren. In der Höhle, der Galería de las Estatuas in Nordspanien, wurde neben Steinwerkzeugen nur ein einziger Neandertaler­zehenknochen gefunden, der jedoch für eine DNA-Analyse zu klein war. In dieser Höhle war dafür die DNA-Erhaltung in den Sedimenten besonders gut. Wir haben dann einen relativ kurzen Zeitraum, also die Zeit von vor 120.000 bis 80.000 Jahren, untersucht. In dieser Zeit haben in der Höhle Neandertaler gelebt. Deren Erbgut haben wir dann aus den Sedimenten isoliert.

Warum wurde das nicht auch in der Denisova-Höhle gemacht?

Die Kern-DNA, also das komplette Erbgut, aus Sedimenten zu gewinnen ist technisch deutlich schwieriger. Aber wir haben jetzt schon mal gezeigt, dass es möglich ist. In den nächsten Jahren werden wir natürlich versuchen, neben mi­to­chon­dria­ler DNA immer mehr chromosomale DNA aus den Proben zu gewinnen.

Was bedeuten diese Innovationen für die Arbeit von Archäologen und Paläoanthropologen?

Da eröffnen sich völlig neue Horizonte. Manchmal werden Ausgrabungen über Jahre oder Jahrzehnte durchgeführt mit einem unheimlichen Aufwand. Findet man Knochenfragmente oder von Menschen bearbeitete Steinwerkzeuge und andere Artefakte, hat man oft keine Möglichkeit festzustellen, ob sie von denselben Menschengruppen hergestellt wurden oder nicht.

Wenn man an einer Stelle leichte Veränderungen in der Technologie beobachtet, kann man nicht sagen, ob andere Menschenformen dazu gekommen sind oder die Menschen vor Ort ihre Technologie verändert haben. Es war bislang auch nicht möglich, Bezüge zwischen verschiedenen Fundplätzen herzustellen. Und die Sediment-DNA erlaubt uns das. Wir können jetzt schauen, wann sich Gruppen von Menschen in einer Höhle abgelöst haben. Ist die Gruppe, die vor 80.000 Jahren in einer Höhle in Spanien gelebt hat, verwandt mit einer Gruppe, die vor 79.000 Jahren in einer Höhle in Frankreich gelebt hat?

Das sind alles Fragen, die wir jetzt beantworten können. Gerade in der Urgeschichte ist die Zahl der verfügbaren Fossilien sehr begrenzt. Die aus den Sedimenten gewonnene DNA eröffnet uns jetzt eine unendliche Quelle an genetischer Information. Wir können in Zukunft ein immer genaueres Bild der Besiedlungsgeschichte Europas und Eurasiens zeichnen, zumindest über die letzten 100.000 Jahre.

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